Machtloser Deng im Gipfeltaumel

■ Deng Xiaopings Image blättert beim krönenden Abschluß seiner Karriere / Umbruchstimmung auf dem Platz des Himmlischen Friedens mit Parolen, Spektakel und Musik / Jubelrufe an die Adresse Gorbatschows

Peking (afp/wps/taz) - „In der Sowjetunion gibt es einen Gorbatschow. Wen gibt es in China?“ Der Kommentar auf Transparenten von Demonstranten vor der Halle des Volkes zu dem in der Sowjetunion eingeleiteten politischen Reformprozeß - ein Wink mit dem Zaunpfahl an die Adresse der chinesischen Regierung. Mit einem Handschlag haben am Dienstag der sowjetische Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow und der starke Mann Chinas, Deng Xiaoping, das Ende des „kalten Kriegs“ zwischen den beiden kommunistischen Nachbarstaaten besiegelt. Nach 30 Jahren der Feindschaft beendeten die zwei Staaten damit offiziell ihren Kampf um ideologische und strategische Fragen. In der polizeiumstellten Großen Halle des Volkes, vor der sich auch gestern wieder 100.000 Demonstranten versammelt hatten, um ihre Forderungen nach demokratischen Reformen kundzutun, zeigten sich die Spitzenpolitiker wenige Minuten vor der Presse.

Für Deng Xiaoping sollte es die Krönung seiner Karriere sein, doch der 84jährige war draußen auf dem Platz des Himmlischen Friedens bei den protestierenden Studentenmassen abgeschrieben. Dort zerschmetterte man kleine Flaschen auf dem Pflaster, die im chinesischen ebenso ausgesprochen werden wie Dengs Vorname: Xiaoping.

In dicken Pinselstrichen sorgte sich ein Spruchband um die Verfassung des alten Herren: „Ist Deng Xiaoping wirr im Kopf?“ Ein Taxifahrer, der am Montag angesichts der Massenaufläufe seinen Job gesteckt hatte und lieber dem Treiben der Studenten und Intellektuellen zuschaute, meinte, es sei nun an der Zeit für Deng Xiaoping zurückzutreten. Für einen 21jährigen Studenten ist Deng nichts als ein alter Autokrat. In der Anfangsphase der jetzigen Proteste hatte Deng wie schon vor zweieinhalb Jahren mit massiven Drohungen den Sturm der Studenten erst richtig entfacht.

In der chinesischen Führung hütete man sich allerdings davor, Dengs Politik der eisernen Faust umzusetzen und Soldaten gegen Studenten marschieren zu lassen. Auch KP-Chef Zhao Ziyang soll auf Deng eingeredet haben, auf Gewalt zu verzichten. Die parteigelenkte 'Arbeiterzeitung‘ brachte sogar Kritik an Deng: „Wer sich gegen die geschichtliche Stömung wendet, geht darin unter.“

Doch die schwerfällige Reaktion der KP-Führung auf die studentischen Dialog- und Reformforderungen veranlaßte eine Gruppe von etwa 3.000 Studenten seit nunmehr bereits vier Tagen und Nächten, ihren Hungerstreik auf dem Platz des Himmlischen Friedens fortzusetzen. Mehr als hundert Studenten und Studentinnen fielen bereits in Ohnmacht und wurden in Krankenhäuser abtransportiert. Obwohl sie wiederholt über Lautsprecher zu einem Ende ihrer Aktionen aufgefordert wurden, zeigten sich die Streikenden entschlossen, ihre Proteste unter den Augen der Weltöffentlichkeit fortzusetzen. „Demokratie ist unser gemeinsamer Traum“, hielten sie einem sowjetischen Kameramann in kyrillischer Schrift vors Objektiv.

Eine für Dienstag mittag vorgesehene Kranzniederlegeung am Denkmal für kommunistische Revolutionäre wurde ersatzlos gestrichen, nachdem schon am Montag das Begrüßungszeremoniell auf dem Flughafen stattfinden mußte und der sowjetische Staats- und Parteichef nur auf höchst seltsamen Wege durch die Hintertür in die Halle des Volkes Eingang gefunden hatte.

Die Unruhen, die den Gipfel der beiden Reformer begleiten, dürften ihre Schatten auch auf die Zukunft der kommunistischen Nachbarländer vorauswerfen, in denen immerhin ein Viertel der Weltbevölkerung lebt. Ganz eindeutig wird der in der Sowjetunion eingeleitete politische Reformprozeß von den demonstrierenden Studenten favorisiert. Am Montag abend mußten Hunderte unbewaffneter Polizisten Tausende Demonstranten davon abhalten, sich ihren Weg in die Halle des Volkes zu bahnen, der eigentlich dem Staatsgast vorbehalten war. Vor den Türen fraternisierten Studenten mit Polizisten und Armee. Sie konnten die Einsatzleiter lediglich zu einem „Nicht-Aufschleck-Befehl“ provozieren, als sie die Staatsgewalt mit Eiscreme bewarfen. Eine eigenwillige Mischung aus Open-air-Konzert und politischer Kundgebung beherrschte den Platz, als die mit Klappstühlen ausgestatteten Soldaten mit den Demonstranten in einen Sängerstreit einstimmten. Beide Fraktionen waren daran interessiert, die Spannung abzubauen, die beherzten Studenten schmetterten zu diesem Zweck die chinesische Nationalhymne, die Soldaten griffen auf beliebte Kasernenhauer wie In the Army Camp zurück.

Familienväter mit Fotoapparaten versuchten auch gestern von ihrem Fahradsattel aus, die beste Einstellung zu finden, um das Spektakel festzuhalten. Auf der Straße des Himmlischen Friedens kommen und gehen ständig Demonstranten. In der Hauptgeschäftsstraße von Peking sprechen kleine Gruppen von Studenten Passanten an und fordern sie auf, „den Kopf wieder höher zu tragen“.

sl