: Vom Louvre-Akkord zur Strawinskischen Dissonanz
■ Die vermeintliche Dollar-Stärke ist eigentlich eine D-Mark-Schwäche: Das Vertrauen in Bonn ist perdu
Nicht der neue rot-grüne Senat in Berlin ist derzeit Grund für den Vertrauensverlust in die bundesdeutsche Wirtschaftspolitik. Vielmehr hat die internationale Hochfinanz derzeit offenbar jeglichen Glauben an eine vernünftige Politik in Bonn verloren. Die Folge: Die D-Mark sackt ab, und die Bundesbank zieht die Zinsschraube an.
Die Situation der Bonner Regierung ist desolat wie nie. Dieser Zustand kostet die Bundesbürger Bares. Reichlich. Für kommenden Donnerstag - spätestens in den nächsten Wochen erwartet die Finanzwelt, daß die Bundesbank ihre Leitzinsen anhebt und damit die Kredite verteuert. Kein Wirtschafts -Indikator, der vor zu heiß laufender Konjunkturmaschine warnt, keine übergroße Inflationsangst und auch kein allgemein anziehendes Zinsniveau im Lande, das die Frankfurter zum Nachkarten zwingen würde, ist der Anlaß zu diesem Schritt. Vielmehr ist es die eklatante Schwäche der Deutschen Mark, die sich dieser Tage an den Kursen festmacht, zu denen die internationalen Devisenhändler ihre Ware durch die Computer jagen.
Mit Zinserhöhungen müssen die Behörden in Frankfurt und Bonn nun versuchen, sinkendes Vertrauen in die D-Mark durch höhere Rendite auf die Mark auszugleichen, auf Kosten derjenigen Teile der Bevölkerung, die sich bei Banken Geld Pumpen müssen.
„Dollar-Hausse“, „Höhenflug des Dollar“, „Notenbanken haben Dollar nicht mehr unter Kontrolle“ - so lauteten die Schlagzeilen der überregionalen Blätter gestern. Die 'Frankfurter Allgemeine Zeitung‘ lieferte - ähnlich wie das 'Handelsblatt‘ - sogleich die Begründung: “...da sich die gegenwärtige Dollarstärke nach Meinung vieler Devisenhändler nicht mit wirtschaftlichen Entwicklungen erklären läßt, sondern in erster Linie einen Vertrauensverlust in die Bundesregierung widerspiegelt.“
Wenn der Dollar im Verhältnis zur D-Mark teurer wird, so kann man es auch soherum sehen, daß die D-Mark im Verhältnis zum Dollar immer mehr absackt. Die 1,95-Mark-Grenze ist bereits kurz tangiert worden, langfristig sieht der Devisenhandel noch kein Ende für den „Aufstiegskanal“ des Dollar (siehe Interview) - oder eben auch die D-Mark im Abflußkanal.
Dabei hatte gerade die neue Bundesregierung nach der Kabinettsumbildung mit einer spektakulären Maßnahme retten wollen, was noch zu retten ist. Die Einziehung der Steuer auf Zinseinkünfte an der „Quelle“, dem Bankschalter, mit der man Steuerhinterziehungen zuvorkommen wollte, wurde - kaum eingeführt - schon wieder fallengelassen. Das mit krimineller Energie zur Steuerhinterziehung geladene Kapital sollte fortan nicht mehr außer Landes fliehen, und den D -Mark-Kurs belasten. Allein es half nichts, und die Regierungsumbildung selbst konnte auch kein allgemeines Vertrauen in kluge Wirtschaftspolitik wiederherstellen.
Das Hin und Her mit der Quellensteuer ist nicht die einzige brandaktuelle Schwierigkeit der Bundesregierung, sich „gut zu verkaufen“, wie es die Finanzwelt verlangt. Die sich abzeichnende Ruine in Wackersdorf, der Versuch, mit Daimler -MBB die unmöglichste Fusion in der Wirtschaftsgeschichte der BRD durchzupeitschen und der Widerstand dagegen bis hoch in die Regierungsparteien hinein, all das zeugt nicht von Erfolg. Daß sich die skandalbelastete Tokioter Regierung in schlimmerer Lage befindet und den japanischen Yen ebenso herunterreißt, ändert jedoch nichts an der allgemeinen D -Mark-Schwäche.
Drei Milliarden Dollar haben die Zentralbanken der großen Industrienationen am vergangenen Freitag gegen Mark und Yen verkauft, um den Dollarkurs zu drücken, eine ungewöhnlich große Summe, auch sie konnte nichts ausrichten. Mühsam wollte man damit versuchen, den vielbeschworenen „Louvre -Akkord“ halbwegs zu retten, auf den sich die Gruppe der sieben mächtigsten Industrienationen (G-7) vor drei Jahren in Paris geeinigt hatte: rund 1,80 Mark pro Dollar. Die Spekulanten lachten sich am Freitag nur krank, kauften die Dollars zum Sonderangebot auf, und sahen über Pfingsten vergnügt dem weiteren Kursanstieg zu. Auch wenn man sich wohl seit einiger Zeit - informell, wie stets - auf einen etwas höheren Dollar geeinigt hatte, so droht nun doch der schöne Louvre-Siebenklangakkord in eine dramatische Strawinskische Dissonanz einzumünden.
Wer meint, das neuerliche G-7-Treffen (USA, Kanada, Italien, Frankreich, Großbritannien, Japan und die Bundesrepublik) auf Staatssekretärsebene, das Montag und Dienstag in New York über die Bühne ging, habe sich wie angekündigt vor allem über die Pläne des US-Finanzministers Nicholas Brady zur Entschuldung der Dritten Welt unterhalten, der irrt. Noch immer liefen Treffen über Währungsfragen möglichst klandestin ab. Deshalb ist davon auszugehen, daß hier mit zweifelhaften Erfolgsaussichten versucht wurde, einen neuen Akkord einzustudieren.
Ob aber selbst die erwarteten Manipulationen an der Zinsschraube die D-Mark wieder aufpeppen können, darf bezweifelt werden. Immerhin haben in der Vergangenheit Spekulationen auf Zinserhöhungen in Frankfurt stets im Vorfeld zu einem D-Mark-Anstieg geführt. Davon ist diesmal vor der morgigen Sitzung des Zentralbankrats nichts zu spüren.
Beratungen über Erleichterungen für die verschuldeten Entwicklungsländer wären jetzt wichtiger denn je. Wenn noch mehr Spekulanten aus der D-Mark „aus-“ und in den Dollar „einsteigen“, so könnte dies recht eigendynamisch zu einem noch stärkeren Dollar führen. Jeder Anstieg des Dollarkurses wie auch des allgemeinen Zinsniveaus trifft die Schuldnerstaaten direkt. Um die teureren Dollars für die Rückzahlungen zu verdienen, müssen sie noch mehr exportieren.
Ein weltweiter Zinsanstieg um einen Prozentpunkt kostet zum Beispiel das mit über 100 Milliarden verschuldete Mexiko satte vier Milliarden Dollar. Kein Trost kann es sein, wenn der Auslandsschuldner Nr. 1, die USA, ebenfalls in größere Schwierigkeiten kommt: Ein im Verhältnis zu Mark und Yen teurer Dollar verschlechtert die Konkurrenzlage der Waren „made in USA“ auf dem Weltmarkt und treibt das dreistellige Milliardendefizit in der US-Handelsbilanz noch stärker in die Höhe. Das aber, so ein Devisenhändler, „hat die US -Wirtschaftspolitik noch nie gekratzt“.
Ulli Kulke
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