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„Immer der erste Mann vor Ort“

■ Ein eifriger Feuerwehrmann soll notorischer Brandstifter sein / Schon als Kind hatte Jürgen B. einen Hang zum Feuer-Löschen / Geständnis unter Tranquilizer-Droge

Die Feuerwehr hat es ihm angetan. „Ich“, sagt Jürgen B. bei der richterlichen Vernehmung, „ich war immer der erste Mann vor Ort, wenn da was ablief - schon als Kind.“ Kein Wunder, wohnte die Familie doch neben dem Feuerwehr-Gerätehaus in Niederblockland. Jener Örtlichkeit, für die der Vater fast dreißig lange Jahre als Gerätewart verantwortlich war. Jürgen B. trat in seine Fußstapfen, sobald es seine Volljährigkeit erlaubte. Die Karriere nahm Gestalt an, ein Engagement im Spielmannszug kam hinzu, 1985 gar wurde er zum Leiter des Versorgungszuges ernannt. Ein Vertrauensbeweis, den Jürgen B. hoch schätzte, denn die Ausbildung, die dazu vonnöten ist, hat er

„erst später in der Landesfeu erwehrschule angefangen.“

Das Löschen-Wollen scheint ihm erst zur Manie, dann zum Verhängnis geworden zu sein. Der zweiunddreißigjährige Jürgen B. ist derzeit vor der Großen Strafkammer des Landgerichts wegen mehrfacher Brandstiftung angeklagt. Er soll im Oktober des vergangenen Jahres das Futterhaus nebst Remise der „RinderproduktionsgenossenschaftMarßel“ angekokelt haben. Noch am selben Tag habe er laut Anklage an einer Lagerhalle der Bremer Vulkan-Werft gezündelt. Tage später brannte das Wirtschaftsgebäude eines Landwirtes in Ritterhude und der PKW-Anhänger seines Nachbarn.

Jürgen B. selbst räumt ein, daß die Wahrscheinlichkeit seiner Tatbeteiligung nicht von der Hand zu weisen ist. Wenn die Anklage zutrifft, dann war er ein notorischer Brandstifter. Und ein eifriger Schadensbekämpfer - stets vor der Feuerwehr am Brandort und bereits mit ersten Löscharbeiten beschäftigt. „Ich habe die Pflicht zu löschen“, beschied er den Polizeibeamten bei seiner Festnahme, „zufällig“ sei er jedesmal zur Stelle gewesen. Und so glaubwürdig, daß ihm der Bauer, dessen Wirtschaftsgebäude in Flammen gestanden hatte, nach den Löscharbeiten ein paar Korn spendierte - zur Belohnung.

Jürgen B. war Alkoholiker. Soweit von der Droge abhängig, daß er gegen Ende oft schon um fünf Uhr morgens aufwachte und „trinken mußte“. - „Wenn ich dann Glück hatte, war eine halbe Flasche Schnaps da. Wenn ich die getrunken hatte, waren Schwindel und Angstgefühle und die Schweißausbrüche erst mal vorbei.“ Manchmal nur für zwei Stunden, dann mußte wieder nachgefüllt werden. Zu dieser Zeit, im Herbst 1988, war Jürgen B. längst arbeitslos. Seine langjährige Beschäftigung als KFZ-Mechaniker auf der Klöckner-Hütte war ihm aufgekündigt worden, wegen Alkohols. So wie alle nachfolgenden Aushilfstätigkeiten, oft nur nach wenigen Ta

gen, auch. Der Alk hatte seine Beziehung ruiniert und das Verhältnis zu seinen Eltern, bei denen er mittlerweile wieder wohnte, erheblich belastet. Mehr als halbherzig, und deshalb letztlich wohl auch ohne Erfolg, hatte er zweimal Entziehungstherapie probiert. Hinter ihm liegt auch ein Suizidversuch, an den er sich aber heute nicht mehr erinnert : „Das muß wieder so nen Tag gewesen sein, wo ich ziemlich voll war.“

Diese Black-Outs hatte er in den letzten Monaten öfter. An die Brandstiftungen erinnert er sich ebenso wenig wie an die Verhaftung und die Vernehmung bei der Polizei. Nur daß er bereits eineinhalb Tage trocken war und deshalb unter schlimmen körperlichen Entzugserscheinungen litt, das weiß er noch.

Die Verteidigung beantragte die Überprüfung seiner Vernehmungsfähigkeit. Die Kripobeamten hatten ihm, weil seine Hände zitterten, auf Wunsch ein Medikament besorgt: Diacepan Ratiopharm 10 - ein Tranquilizer, „das stärkste, was es auf dem Markt gibt“, wie Ärzte der taz bestätigten. Dieses Medikament wird in der Regel nur bei einem psychischen Zustand verabreicht, der eine Vernehmungsunfähigkeit nahelegt - wenn das Gericht dem Antrag folgt, wäre das vorliegende Geständnis hinfällig.

Am Freitag wird weiterverhandelt.

Andreas Hoetzel

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