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Der Platzhirsch und seine „Damen“

■ Vier Frauen erstatteten Strafanzeige gegen ihren Chef: Amtsgericht verurteilte ihn wegen sexueller Nötigung zu einer Bewährungsstrafe / Jahrelang konnte der Abteilungsleiter seine Mitarbeiterinnen belästigen und schikanieren

Das Bundesamt für Flugsicherheit in der Frankfurter Innenstadt ist eine bumsfidele Behörde. Küßchen hier, Küßchen da, mit dem Chef Aktfotos angucken und über den FKK -Urlaub plauschen. Feiern und fummeln, da ist doch nichts dabei, alles sei nur Spaß gewesen, sagten ein Dutzend Angestellte Ende April vor dem Amtsrichter. Seit dem Sommer 1985 ist das „lockere Betriebsklima“ im Amt aktenkundig, in dem die MitarbeiterInnen Geheimnisträger sind, das abgeschottet arbeitet und in dem Heimlichkeiten und Klatsch fruchtbaren Nährboden fanden. Vier Frauen zeigten damals ihren Chef an. Der Abteilungsleiter, Regierungsdirektor Eberhard H., wurde vorzeitig in den Ruhestand geschickt.

Erst nach fast drei Jahren begann der Prozeß gegen H., heute 60 Jahre alt, wegen sexueller Nötigung und Beleidigung. Das Gericht verurteilte ihn zu zehn Monaten Haft auf Bewährung und zu einer Geldstrafe von 12.000 Mark. Drei Nebenklägerinnen saßen ihm im Saal 202 A im Frankfurter Amtsgericht gegenüber. Der Fall der vierten Frau ist inzwischen verjährt. Sie waren den Attacken H.s in den Jahren 1984 und 1985 besonders heftig ausgesetzt.

„Locker“ haben sie das nicht gesehen. Laut Anklage war es eine der Spezialitäten von H., von hinten an die Frauen heranzutreten, sie zwischen Stuhl und Schreibmaschinentisch einzuklemmen und ihnen in den Ausschnitt zu greifen. Nahm die Frau dann, erläutert Staatsanwalt Klaus Winkel, „eine zusammengekauerte Haltung ein, dann faßte er unter Rock oder Hosenbund an den Hintern“. In seinem Arbeitszimmer drängte er die Frauen immer wieder gegen einen Schrank, zog ihnen die Blusen hoch, versuchte, ihre Brust zu küssen, griff ihnen unter den Rock oder zog ihre Hand an seinen Hosenstall.

1972 war H. zum Leiter der Abteilung für Beschaffungswesen aufgestiegen und residierte über 40 Angestellte, vorwiegend Frauen. Seit Mitte der siebziger Jahre, erinnerte sich ein Personalrat im Zeugenstand, tuschelte die Firma über den „Busengrapscher“. Beschwerden blieben ohne Konsequenz. Die Behördenleitung deckte ihn. H. galt als überaus kompetent und fleißig.

„Ich bin hier der Platzhirsch“, instruierte er seine männlichen Kollegen, denen er die entwürdigende Behandlung „seiner Damen“ regelrecht demonstrierte. Sie sahen zu, wenn er seiner Vorzimmerdame an den Busen griff, hörten, wenn er sie herumschob und sagte: „Sieht sie nicht heute wieder aus wie eine süße Nutte?“, ihr ihren Hund als „Fotzenlecker“ und sich selbst als Bett-Ersatz für den erkrankten Freund empfahl.

Der Zeuge B., Sachgebietsleiter, ist dafür bekannt, daß er selbst „gern mal hinlangte“. Im Zeugenstand bestätigt er diese Vorfälle. Er war dabei und sagt lahm und verlegen: „Das war Spaß.“ Pathologie des Büroalltags

Viele haben vieles mitbekommen, niemand hat etwas gesagt. Da gab es die Angestellten, die mit H. „konnten“, die seinen cholerischen und hierarchischen Führungsstil wegsteckten, seine Zudringlichkeiten übersahen. Im Gerichtssaal entsteht der Eindruck, daß selbstbewußte, fachkompetente Frauen ganz von ihm verschont wurden, manchmal nicht einmal bemerkten, was in ihrer Nähe vorging. Manche, die sich wehrten, ließ er in Ruhe, andere - Männer wie Frauen - schikanierte und beschimpfte er.

Bei denen, die seinem Psychoterror nicht gewachsen waren, ging er so weit, wie der Erfolg seiner Einschüchterung es zuließ. Einige überfiel er immer wieder, ignorierte Ablehnung und Gegenwehr, manchmal zwei- bis dreimal pro Woche, manchmal mehrmals täglich. Die Frauen verkrampften sich und zitterten schon, wenn sie zu ihm gerufen wurden: „Wir wußten nie, was passiert!“ Ihnen, darunter Frauen mit Zeitverträgen, alleinstehend mit Kind, mit Angst um den Arbeitsplatz und Scham vor den Kollegen, drohte er immer wieder mit Entlassung, indem er auf die „2,5 Millionen Arbeitslosen, die schon vor der Tür stehen“ verwies. Wenn sie nicht wollten, so der Chef, dann werde er sich eben „geschmeidigere Damen suchen“.

H., aus kleinen Verhältnissen kommend, verglich sich gern mit dem römischen Kaiser Caligula. Er beherrschte seine Abteilung mit einem abgefeimten Kastensystem, dessen Nährboden, die Pathologie des Büroalltags, den Gerichtssaal braucht, um sichtbar zu werden. Die Zeugen spalten sich in Pro und Contra. Zwei Lager, eines von H.s Gnaden, eines von seinen Ungnaden, lebten, sich jeweils sorgsam voneinander isolierend, nebeinander her. Sie erlebten den Arbeitstag auf unterschiedlichen Wahrnehmungsebenen. Wer die verschiedenen Zeugen gehört habe, sinniert Richter Henrici in der Urteilsbegründung, sei „zunächst geneigt zu glauben“, es könne sich bei H. „nicht um ein und dieselbe Person gehandelt haben“. „Menschen sind“, erklärt er sich das selbst, „in ihrem Verhalten durchaus ambivalent.“

Eine Sachbearbeiterin hat selbst bei geöffneter Tür nichts gesehen. Eine andere empört sich über die Nebenklägerinnen: „Wie die schon angezogen waren! Sooo ein Ausschnitt!“ „Wie tief denn?“, will die Vertreterin der Nebenklage, Barbara Henrich, wissen. Die Zeugin deutet mit einer Geste moralische Verwerflichkeit an. Ihre Hand bewegt sich in Höhe ihres Bauchnabels. Kleiderordnung

Auch der Verteidiger von H., Rechtsanwalt Kügler, erkundigt sich ausgiebig nach der Bekleidung der Frauen. Wie tief der Ausschnitt war, wie hoch der Rockschlitz, wie weit die Blusenärmel. Der Verzicht auf den Büstenhalter hört sich auf einmal an wie der auf den Keuschheitsgürtel. Stundenlang wird die Kleiderordnung verhandelt, nicht aber die sexuelle Nötigung. H. Zeichnet dem Gericht auch gleich eilfertig in schnellen Strichen eine Bluse aufs Papier. Das Gericht weist die Skizze zurück, nicht aber die anklagende Frage der Verteidigung: „Haben Sie mal daran gedacht, mit Rücksicht auf Herrn H. eine andere Kleidung auszuwählen?“ „Ich ziehe mich einfach modisch an!“, sagt Nebenklägerin K. sichtlich entnervt und fragt verbittert, ob sie sich den hätte „verschleiern sollen“.

Etliche MitarbeiterInnen haben bei Gericht schriftliche Ehrenerklärungen für H. Abgegeben. Ein leitender Angestellter sieht ihn als Opfer einer Bürointrige. Die „Damen“ seien doch schon „beleidigt“ gewesen, „wenn er sich seine Grapefruit mal von einer anderen schälen ließ“. Er benutzt den Begriff „Dame“, genau wie H. und sein Verteidiger, mit schillerndem Klang. Es hört sich anrüchig an, ein Synonym für Verfügbarkeit. „Vorzimmerdame“ K. beschreibt genau diesen Zustand, als sie berichtet, sie habe von H. nichts zu tun bekommen, „keine richtige Arbeit“. Sie habe zur „Dekoration gedient“: „Ich habe nur für ihn da sein müssen, für seine Launen.“ „Caligula“ betrachtete sie als seine Sklavin, verbot ihr das Verlassen des Raumes, den Gang zur Toilette und zur Kantine. Auch das bestätigen Zeugen. Schweigen und Wegsehen

Zur Überraschung der Nebenklägerinnen sagen auch etliche Männer, von denen sie das nicht erwartet hatten, gegen H. aus. Sie sind Beispiel für die unsägliche Arroganz, mit der H. seine „Untergebenen“ spaltete. Er macht sie noch im Gerichtssaal zu Underdogs, die seinen hohen Leistungsansprüchen nicht genügten, die unfähig und nur darum gegen ihn seien. Nur mit Mühe kann Rechtsanwalt Joachim Kügler seinen Mandanten davon abbringen, diese Stellungnahme selbst vorzutragen. Diskreditiert werden sie trotzdem. Sie alle haben weggesehen, davon entweder profitiert oder wenigstens keinen zusätzlichen Ärger gehabt. Der „Platzhirsch“ hat sie täglich zum Schweigen gebracht. Ein Ingenieur berichtet mit leiser Stimme, er habe H. wegen der Behandlung der Frauen eigentlich schon lange zur Rede stellen wollen, aber: „Ich habe nichts getan. Das werfe ich mir heute noch vor.“

H. ist sich in seinem Schlußwort keiner Schuld bewußt. Banale Gespräche über Diät, ein von ihm befohlener Stadtbummel, allen menschlichen Schein gebraucht er als Beweis dafür, daß er es „seinen Damen“ recht gemacht hat. Staatsanwalt Winkel fordert ein Jahr und sieben Monate Haft und eine Geldstrafe von je 5.000 Mark zugunsten der Nebenklägerinnen. Diese schließen sich dem Antrag an. Eine solche Strafe, so Winkel, werde H. zwar die Pension kosten, darauf aber könne er keine Rücksicht nehmen. H. habe schließlich seine Stellung ausgenutzt, um die Straftaten begehen zu können.

Der Rechtsanwalt von H., Kügler, der sich in seinem Plädoyer mit Spitzen gegen die Nebenklägerinnen nicht zurückhält, greift die Flugsicherungsbehörde im besonderen und den Sexismus im Büro im allgemeinen an. Seltsam fremd nehmen sich in seinem Vortrag Passagen über „repressive“, „von Männern ausgeübte Gewaltstrukturen“ aus. Viele Frauen litten, so Kügler, unter diesen „Verstößen gegen die sexuelle Selbstbestimmung der Frau“: „Aber nur wenige klagen an!“ H. sei Opfer mangelnder Fürsorgepflicht der Behördenleitung, er sei in ein von ihr toleriertes Klima „eingebettet“ gewesen. Er bittet um eine Bewährungsstrafe wegen sexueller Nötigung in einem „minder schweren Fall“. Bewährungsstrafe

Dem entspricht das Gericht mit seinem Urteil von zehn Monaten Haft zur Bewährung und 12.000 Mark Geldstrafe, zu zahlen an eine Kinderkrebs-Station. Frauen im Zuschauerraum, die noch kurz vorher im Zeugenstand für H. ausgesagt hatten, hören das Urteil fassungslos. Sie reagieren verunsichert, sind den Tränen nahe, verbergen ihr Gesicht, als sie in der Urteilsbegründung die Taten ihres Chefs im Detail anhören müssen.

Das Urteil ist so ambivalent, wie Richter Henrici diesen ganzen Fall betrachtet. Er bemängelt gleichzeitig, daß der Nötigungsparagraph ihm wenig Spielraum lasse. H. habe wohl Gewalt angewendet, aber „am unteren Rand“, der gleiche Strafrahmen gelte schließlich auch für grauenvollere Verbrechen. Er glaube den Nebenklägerinnen zwar, dennoch habe er die Aussagen „insbesondere auch von Frauen“ berücksichtigt, die sich über deren Kleidung geäußert hatten. Möglicherweise hätten sich die Nebenklägerinnen dadurch doch „manchmal Vorteile“ bei H. erhofft und seien „trotz diesen Vorfällen immer wieder leicht bekleidet erschienen“. H.s „Unrechtsbewußtsein“ sei dadurch „möglicherweise abgestumpft“. Der Tatbestand der sexuellen Nötigung, beschied er abschließend, sei „nur knapp erfüllt“: „Dazu gehört das Anfassen der Brust.“ Die „unmittelbare Gewalt“, die H. anwendete, habe keine Gefahr für Leib und Leben der Frauen bedeutet.

Die Frauen akzeptieren das Urteil - mit Ambivalenz. Noch einmal, sagen sie vorerst, würden sie so eine Tortur wie dieses Verfahren und die Diskriminierungen im Vorfeld nicht auf sich nehmen. „Eine richtige Wut“, sagte eine von ihnen nach dem zweiten Verhandlungstag, „bekomme ich erst jetzt.“

Heide Platen

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