: Kompromiß bei der Nuß
Buchtip: Mit Sozialhilfe ins Jahr 2000 ■ BUCHREZESSIONBUCHREZESSIONBUCHREZESSION
Wenn sich ein Buch über Vollwerternährung mit dem Titel schmückt: Für 333 DM im Monat satt, gesund und glücklich, ist es wohl kein Zufall, daß auf Seite 33 des Pudels Kern zu finden ist: die Einkaufsliste.
Nun haben SozialhilfeempfängerInnen - an die richtet sich dieses Buch - eh nicht die Qual der Wahl, und für mehr als die Butter auf dem Brot fehlt das Geld ohnehin. Zum Glück! In diesem Buch können sie nachlesen, welche Krankheiten sie dank ihrer Armut nicht bekommen, weil Käse, Eier und Fleisch zu den unbezahlbaren Luxusgütern gehören. Armut als Krankheitsprophylaxe, welch ein Trost! Allerdings, es reicht auch für einige Produkte nicht, die zur Vollwerternährung gehören. Nuß und Mandelkern erzwingen unbiologische Kompromisse, weil die biologischen Früchte allzu teuer sind. Das gleiche Problem bei den Bananen: biologische sind rar und meistens aus Israel, und die will nicht jedeR. Interessant wäre gewesen, wieviel von der großzügig verspritzten Chemie nun in den Schalen hängen bleibt.
Allein - klare Antworten sind nicht Sache des Buches, eher Dumpfes, wie über den Zusammenhang von Kartoffelessen und Dummheit. Es ist schade, daß der Autor aus der großen Wundertüte, in der sich die alten Griechen neben Moses und Krishnamurti Steiner, Bircher-Brenner und Bruker und so weiter. tummeln, selten die treffendsten Zitate zieht.
Einem großen Märchen geht der Autor auf den Leim: Das Berliner Wasser ist keineswegs das beste europäischer Großstädte, auch wenn die Wasserwerke das suggerieren und als Beweis anführen, daß das Berliner Wasser ob seine Güte nicht gechlort werden muß - was nun leider kein Zeichen der Güte ist, sondern einer gesättigten Lösung. Die Alliierten schütteten aus Angst vor Seuchengefahr nach Kriegsende so viel Chlor ins Wasser, daß die Konzentration bis heute ihren Zweck erfüllt.
Ob das Buch seinen Zweck erfüllt, wird von der Informiertheit der LeserInnen abhängen. Für AnfängerInnen in Sachen Ernährung empfehle ich ob der chaotischen Informationsfülle einen Sturzhelm, damit sie nicht erschlagen werden. Das Buch kostete in der ersten Auflage 12 Mark 80, in der zweiten stolze 22 Mark. Das ist nach dem Autor der Lebensmitteletat für zwei Tage, sollte man „mit 333 DM im Monat satt, gesund und glücklich ins nächste Jahrhundert“ kommen wollen.
Gabi Trinkaus
Meier-Hardy: Mit 333 DM im Monat satt, gesund und glücklich ins nächste Jahrhundert. Rocamar, Berlin 1988, 22 DM
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