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Für eine kommerzielle Wiederaufarbeitung in der BRD

■ Ein Referat, gehalten vom Vorstandsmitglied der WAA-Errichterfirma DWK, Wolfgang Straßburg, auf der Jahrestagung Kerntechnik '89

IM

In der Bundesrepublik Deutschland fehlt seit Jahren der energiepolitische Konsens hinsichtlich der friedlichen Nutzung der Kernenergie. Dieser Mangel kann sich ohne Zweifel erschwerend auf ein Großprojekt wie das der Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf auswirken. Diese zumal weitgehend nicht neue Erkenntnis - kann aber keine Rechtfertigung dafür sein, sich ganz oder wesentlich von dem eigenen Engagement in unserem Land ohne Prüfung all der damit zusammenhängenden Konsequenzen zu lösen.

Die Realisierung des französischen Angebots - und zwar unverändert zum bisherigen Vorschlag - schließt eine deutsche Wiederaufarbeitungsanlage aus. Diese Entscheidung wäre auf überschaubare Zeit nicht reversibel. Die Frage ist berechtigt, warum das französische Angebot - gerade hinsichtlich der angedachten Menge von mindestens 400 t/a, aber auch des Partners auf der deutschen Seite - in diesem frühen Stadium keine Modifikation mehr erfahren kann. Die Franzosen befürchten vom Jahre 1999 an - bis dahin ist die Kapazität von ausländischen Kunden voll kontrahiert - eine Unterauslastung der UP3-Anlage. Zeitpunkt und Inhalt des französischen Angebots sind u.a. dadurch bestimmt, daß für den Zeitraum nach 1999 keine ausländischen Kunden in Sicht sind, die mit gleich großen Brennelementmengen wie die deutschen Kernkraftwerkbetreiber diese Lücke schließen könnten. Sie haben wohlweislich diesen Schritt nicht mit der englischen Wiederaufarbeitungsfirma BNFL abgestimmt, obgleich man auf diesem Gebiet sonst eine regelmäßige Konsultation pflegt.

„...will man nicht die Glaubwürdigkeit verlieren“

Allein auf die betriebswirtschaftlichen Kostenvorteile abgestellt, könnte das französische Angebot das hohe deutsche Strompreisniveau günstig beeinflussen. Diese Vorteile verlieren aber deutlich an Gewicht, wenn die Folgekosten einer Aufgabe der deutschen Wiederaufarbeitungsanlage einbezogen werden und im Fall der Nachrüstung der französischen Anlage Mehrungen entstehen. Die deutsche Elektrizitätswirtschaft steht seit der friedlichen Nutzung der Kernenergie in unserem Land zu dem Grundsatz, daß Sicherheit vor Wirtschaftlichkeit geht. Das betriebswirtschaftliche Argument kann mithin nur eines unter vielen sein, will man nicht die Glaubwürdigkeit verlieren.

(...) Der weitgehend anerkannte hohe Sicherheitsstandard in der Bundesrepulik Deutschland eröffnete den Weg, Aufträge für das Nachrüsten sowjetischer Reaktoren zu erhalten. Diese Position ginge verloren. Nach der Raum-/Luftfahrt- und Kommunikationstechnik würde ein weiterer wesentlicher Wirtschaftszweig in der Federführung nach Frankreich abgegeben. Daß der europäische Binnenmarkt weder ökologisch noch ökonomisch die Gleichstellung aller Partner auf einem Niveau beinhaltet, verdeutlicht am besten das wirtschaftlich aggressive französische Vorgehen.

Die Bundesrepublik Deutschland wird aufgrund ihrer hohen Industrialisierung und des etablierten Kernenergieprogramms als Nicht-Kernwaffenstaat international akzeptiert, kommerzielle Wiederaufarbeitung zu betreiben. Die Preisgabe dieser Technik im eigenen Land würde einem teilweisen Souveränitätsverlust gleichkommen.

Der sicherheitstechnische Vergleich mit den französischen Anlagen muß so ausfallen, daß nicht der Vorwurf eines Umweltdumpings erhoben werden kann bzw. Möglichkeiten ggfs. hinsichtlich der Nachrüstung eröffnet werden.

Eine Bewertung des Angebots der Franzosen muß einschließen, ob und gegebenfalls inwieweit sich die Verhältnisse in Frankreich zur friedlichen Nutzung der Kernenergie bis zum Inkrafttreten einer solchen Zusammenarbeit Ende dieses Jahrhunderts ändern könnten. Es ist bekannt, daß in Frankreich die kritische Haltung der Gewerkschaften und die grüne Bewegung zunehmen. Im Zuge der europäischen Integration ist nicht damit zu rechnen, daß letztere Bewegungen an den nationalen Grenzen Halt machen. Arbeitskämpfe in Frankreich - die auch schon die Wiederaufarbeitung betrafen - sind von deutscher Seite nicht beeinflußbar. Ein Pfand ist gewiß das stark ausgebaute französische Kernenergieprogramm. Andererseits muß daran nicht dauerhaft auch die Entsorgung ausländischer Kunden partizipieren. (...) Erinnert sei nur daran, daß es gerade die Franzosen waren, die während der Ölkrisen ihre Stromexporte im europäischen Verbund einstellten. Lassen Sie mich so viel feststellen. Auch eine völkerrechtliche Vereinbarung beläßt Risiken.

Gerade in diesem Institut erblickt man das Phänomen, selbst bei sich verändernden Mehrheiten im eigenen Land die Entsorgung der Kernkraftwerke zu stabilisieren. Befremdend wirkt hierbei, daß das Vertrauen ins Ausland offensichtlich mehr zählen soll. Eine Staatsbürgschaft der Bundesregierung für den Fall der politisch bedingten Nichtinbetriebnahme von Wackersdorf wäre m.E. nicht von gleicher, sondern höherer Qualität. Damit würde das Kalkar-Syndrom gebannt.

Die Verträge müßten ferner berücksichtigen, daß bei Aufgabe der eigenen Technologie in unserem Land Frankreich eventuell auch auf anderen Gebieten zu dieser Art der „Kolonialpolitik“ greift. Das aus meiner Sicht im Übermaß in den Vordergrund geschobene betriebswirtschaftliche Argument kann gerade in Ansehung der von den Franzosen gewünschten Stromexporte als Bumerang wirken. (...)

Schließlich ist nicht zu erwarten, daß durch Preisgabe der Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf der Weg für die Wiedergewinnung des Konsens Kohle/Kernenergie geebnet wird. Die Opposition ist - wie besonders der Normenkontrollantrag beim Bundesverfassungsgericht der SPD-Bundestagsfraktion zeigt - gegen die Wiederaufarbeitung, unabhängig davon, an welchem Ort sie geschieht. Die Euphorie der Opposition war daher auch nur sehr verhalten. Naheliegender ist, daß die Opposition auf sog. Dominoeffekte hofft, deren Eintritt und Konsequenzen heute nur schwer absehbar sind. Generell kann nicht ausgeschlossen werden, daß selbst über den Nuklearbereich hinaus ein solches Vorgehen in unserem Land Schule macht.(...)

Die Haltung der Elektrizitätswirtschaft

Bis zur Beantwortung der offenen wesentlichen Fragen muß an der Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf festgehalten werden. Ein non-liquet, d.h. eine voreilige Aufgabe von Wackersdorf ohne ausreichende Durchleuchtung und Absicherung des französischen Angebots, könnte den Weiterbetrieb von deutschen Kernkraftwerken gefährden. Vertreter der Elektrizitätswirtschaft haben noch jüngst keine Zweifel daran aufkommen lassen, daß sich für die Betreiber der Kernkraftwerke die Schließung des Brennstoffkreislaufs durch Wiederaufarbeitung in der Bundesrepublik Deutschland rechnet. (...)

Unabhängig vom Ausgang der Prüfung und dem Inhalt der letztlich von der Politik zu treffenden Entscheidung kann leider schon heute festgestellt werden, daß ein großer Vertrauenschaden - sowohl in der Politik als auch der Bevölkerung gegenüber, insbesondere in den Standortregionen

-entstanden ist. Ich muß hier auch unsere eigenen Mitarbeiter mit einbeziehen. Wir wurden am 30.März 1989 erstmals unterrichtet. Kommunikationsdefizite beherrschen unsere Zeit. Die Frage nach dem Mandat wurde häufig genug gestellt. Das Vorgehen hat m.E. doch im Übermaß das Verhältnis zwischen Industrie und Politik belastet; und zwar mehr, als es je der Anlaß rechtfertigen könnte. Ein Stück Kultur ging verloren.

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