: Italiens Sozialisten auf dem absteigenden Ast
Der 45. Parteitag zeigt die Unsicherheit der Partei nach der „Restauration“ der Kommunisten ■ Aus Mailand Werner Raith
Die Architektur könnte bombastischer nicht sein, der Ort kaum geschichtsträchtiger; auch das Politpublikum, von dem Chef der anderen Parteien über den Kurzbesucher Andrej Sacharow bis zur Abgeordneten Ilona Staller, läßt ebensowenig zu wünschen übrig wie das Modedesign der gut 800 Ordnungsleute und Hostessen. Und dennoch: Wiewohl Stararchitekt Panesca in Anlehnung an Mitterrands Louvre -Glaspyramide ein ebensolches Bauwerk für den riesigen Bildschirm hinter dem Podium aufgebaut hat, obwohl man für den Kongreß die alte Ansaldo-Lokomotivenfabrik ausgesucht hatte, in der einst Sandro Pertini die bewaffnete Erhebung gegen Mussolinis Restimperium ausrief - irgendwie kommt, trotz des langen Beifalls nach der Zweieinhalbstundenrede des großen Vorsitzenden Bettino Craxi, bei diesem 45.Parteitag der sozialistischen Partei Italiens keine so rechte Euphorie auf.
Die guten Zeiten der Partei sind zu Ende: Noch 1987 hatte Craxi einen enormen Wahlerfolg zu feiern, der Zeitpunkt des „sorpasso“, des Vorbeimarsches an den von einst 35 auf 27 Prozent gesunkenen Kommunisten schien absehbar. Doch davon ist längst nicht mehr die Rede, trotz des lange Zeit scheinbar „unaufhaltsamen Aufstiegs des Bettino C.“, so 'La -Repubblica'-Chefredakteur Eugenio Scalfaro. Grund dafür sind die Kommunisten, die urplötzlich nach einem Jahrzehnt Abstieg wieder Tritt gefaßt haben: „Es genügte, daß der PCI unter seinem neuen Chef Achille Occhetto sich dezidiert vom Kommunismus verabschiedete, sich zur Demokratie bekannte, und schon ist der sozialistische Höhenflug vorbei: Die politische Landschaft wird grundlegend neudefiniert.“ In der Tat müssen sich Italiens Sozialisten derzeit an allerhand ungute Gefühle gewöhnen: Saßen die PCI-Chefs in den letzten sozialistischen Parteitagen verkniffen und in sich zusammengesunken da, so wächst der kleine Achille Occhetto auf der Ehrentribüne mit sichtlichem Vergnügen immer mehr in die Höhe, je mehr Craxi die von der PCI angreift und teilweise regelrecht angiftet. „Olle Kamellen“, kommentiert Occhetto und grinst von einem Ohr zum anderen, „der redet dauernd von Alternative, aber dann streichelt er die Christdemokraten so intensiv, als wär er mit ihnen verheiratet. Der soll erst mal aus dem Rechtsbündnis heraus, dann reden wir weiter.“
Daß Craxi sich in Mailand offenbar von seiner bisherigen Tendenz der ständigen Sticheleien gegen die von seinem PSI mitgetragene Koalition (mit DC, Sozialdemokraten, Republikanern und Liberalen) verabschiedet hat und sich ganz in Loyalität zu seinem Intimgegner Ministerpräsident Ciriaco De Mita übt, haben manche Kommentatoren hier als den Versuch gewertet, sich als „rettenden Turm im Chaos“ zu profilieren und sich den Christdemokraten als wieder wählbarer Regierungschef zu empfehlen; und dafür nimmt er selbst Prügel seiner eigenen Gewerkschaft UIL in Kauf. Es ist fraglich, ob ein solcher Versuch gelingen kann: Zu windelweich klingen die Reden.
Ganz anders als früher will diesmal bei der sonst so hochtechnologisierten Partei kaum etwas so recht klappen. Unter anderem fällt auch die Übertragungsanlage aus, ausgerechnet während der Craxirede; als dann, am Abend, der PSI-Kanal des zweiten staatlichen Fernsehens dem Ereignis eine glatte halbe Stunde in den Nachrichten einräumt, quiekt der Vorsitzende teilweise wie Mickymaus, weil sich die Bänder verheddern. Fast schon wie eine Satire wirkt da die Taubstummenübersetzerin, die neben Craxis Pult die Rede auch Gehörlosen einbleuen soll, und die zeitweise mit ihrer ausholenden Gestik mehr Kommunikation schafft als der Chef selbst.
Was Wunder, daß bei den Delegierten der Applaus eher automatisch denn nach Sachinhalten kommt. Erst beim späteren Durchlesen der Suada fallen wenigstens einigen Delegierten die Widersprüche zuhauf in die Augen: „Die Rede“, so einer aus Bari, Gefolgsmann des Parteilinken Formica, „könnte auch De Mita oder DC-Chef Forlani gehalten haben“, doch: „Warum er dann dauernd von Kontrasten spricht, hab‘ ich überhaupt nicht kapiert.“ Sicher: Da ist die von Craxi selbst hochgepushte Frage der Kriminalisierung Drogenabhängiger (die der PSI neuerdings allesamt bestraft sehen will, auch wenn sie nicht dealen), doch da läßt just der PSI-Chef selbst die Luft raus, indem er Einsperren nun, genau wie die Christdemokraten und die Kommunisten, ablehnt. Dann ist da das Haushaltsdefizit - doch das hat der Schatzminister zu verantworten - und der ist Sozialist.
Institutionelle Reformen, die Craxi seit Jahren will: etwa die direkte Wahl von Staatspräsidenten durchs Volk und die Einführung des Mehrheitswahlrechts nach englischem Muster? Da wiederum haben Christdemokraten wie Kommunisten schon längst Verhandlungsbereitschaft erkennen lassen.
Europapolitik? Verteidigung? Naher Osten? Verhältnis zu den USA? Abrüstung? „Nirgendwo ernsthafte Kontraste“, wie DC -Chef Forlani und Ministerpräsident De Mita zu Recht feststellen; PCI-Occhetto grinst wieder: „So verwaschen, wie er das sagt, kann das jeder unterschreiben; immerhin: Diesmal hat er auch mal was Positives zu Gorbatschow rausgelassen - als letzter Parteichef Europas.“ Boing.
Weit ist es gekommen, wenn sich der „Macher“ und „Schnelldenker“ das von einem sagen lassen muß, der selbst eher ein Meister der wolkigen Formulierungen ohne große Festlegung ist. Doch Occhetto hat, gegen alle Prognosen, bei seinem Parteitag vor zwei Monaten bewiesen, daß er seine Nullformeln als Zukunftsvisionen zu verpacken versteht - und genau da steht der PSI-Chef ziemlich nackt da, trotz des Mottos „ritorno al futuro“, das seine Manager propagieren.
Und so munkeln, hinter der vorgehaltenen Hand, aber immerhin nicht mehr überhörbar, immer mehr Leute aus dem Fußvolk, daß die „Rückkehr zur Zukunft“ am Ende genau da liegen könnte, wo der greise Exstaatspräsident Pertini in seinem Grußtelegramm den PSI wieder haben will: „Wo die alte, kämpferische, betont linke, betont arbeiterfreundliche Partei des Widerstands und der Demokratie ihre Heimat hat.“ Craxi, der Aufsteigerguru und Industriellenfreund, könnte sein letztes umstrittenes Parteispektakel durchgezogen haben.
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