: WOHNEN UND HAUSEN
■ Bruno Tauts Wohnhaus und neue Architektur des Wohnens
Die eine Ausstellung ist winzig, die andere riesig. Trotzdem ist die kleine in Britz besser. Nur ein Haus. Bruno Tauts liebliche Villa in Dahlewitz von 1927, in Form einer Sonnenuhr. Im Wedding dagegen hängen 80 Wettbewerbsbeiträge für moderne Wohnblöcke in Berlin, Frankfurt, Stuttgart, Trier, Regensburg und Ingolstadt. Ergebnisse der deutschen Sektion von „Europan“, jenem Prix de Jeunesse der Architektur, der schon seit 1988 im Eurosound plärrt.
Alles in Grund- und Aufriß, Ansicht und Detail. Nach zehn Projekten weiß man nicht mehr, wie die beiden ersten aussehen. Zum Teil beschissene Lichtpausen. Mittendrin grinst mich einer vom Foto herunter an, als wisse er, warum die Häuser an der Stellwand gegenüber Schachpartien nachspielen müssen. Das Projekt D509 hätte ich am liebsten heruntergerissen. Und daß Martin Zechner aus Wien eine lobende Erwähnung für seine genmanipulierte Architektur kriegt, grenzt an Niedertracht. „Architektur des Wohnens“ findet nicht nur nicht statt, sondern inszeniert sich höchstens in bühnenähnlichen Innenraumplattformen, und die Visionen „moderner Lebensweisen“ erschöpfen sich oft im Bild digitaler Spiegelfassaden a la Lord Extra, wo das eine dumme Paar auf das andere dumme Paar wartet.
Bei Taut ist die Welt des Wohnens noch physisch. Er ist ein Magier. Denn in die Ausstellung hinein und in sein Haus ziehen unsichtbare Fäden zum mit Akribie entworfenen Detail. Auf festgelegten „Ganglinien“ tanzt dort die Tautsche Hausfrau in ihrer Küche eine sozio-kulturelle Essenszubereitungschoreographie im farblich abgestimmten Interieur. Der „Essenauftraggang“, genau fünf Schrittchen, aber durch eine Schiebetür und Zwischenflur mit Haken für die Schürze, führt an den Tisch im Speisezimmer. Adrett sitzt die Hausfrau nun dem Abräumbüffet am nächsten, weil sie im Sitzen dort hinein abdecken kann. Denn auf einer Drehplattform saust das Geschirr in die Spülküche, wo ein Dienstmädchen schon zum Spülen bereitsteht. Wenn die Hausfrau Pech hat, steht sie selber dort. Die praktische Ökonomie führt schließlich bis ins Schlafzimmer, wo wahrscheinlich sachlich - reproduziert wird.
Heute geht uns anscheinend die Luft aus. Ganglinien verschwimmen im Wedding zu Wirbelströmen, Räume taumeln und lösen sich auf mit wachsender Geschwindigkeit, als Turbulenzen. Immer schneller wird umgezogen, ohne feste Wände, mit Klappbett, keine Küchen mehr, nur Rohrpostleitungen aus denen das Fast Food direkt ins Maul geflogen kommt. Es kann kein Hund so länger wohnen. Wo bei Taut noch abgewaschen wird, entblößen die Singles ihr makelloses Gebiß zum verzerrten Grinsen. Dann schießen sie, bei Tim Heide und Verena von Beckerath (erste Preisgruppe), auf ihren Skateboards die gewundene Rampe hinunter, vorbei an flexiblen Appartements, die nachts horizontal und tags wieder vertikal verbunden werden können, auf die Straße. Oder sie springen aus ihren multivariablen Wohneinheiten, die wie brückenartige Pfahlbauten (Michael Mussotter, Ulrike Poeverlein, auch erste Preisgruppe) über Eisenbahntrassen direkt in (vor) den Zug und gehen ein in die ewig waltende Simulation des Alltags. Pleasure!
rola
Die Ausstellung zu Bruno Taut ist noch bis zum 28.Mai täglich von 14-19 Uhr außer mittwochs zu sehen. Schloß Britz, Alt Britz 73. Eintritt 2DM.
Die Ausstellung „Europan“ ist ebenfalls bis zum 28.Mai täglich von 10-17 Uhr zu sehen. Ehemalige AEG -Kleinmotorenfabrik, Halle 10, Voltastraße5, 1-65. Eintritt ist frei.
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