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HAUSTIER MENSCH

Jeder Mensch sucht seine Umwelt so zu formen, daß sie in Übereinstimmung mit seinem Leben steht. Die Formgebung der Materie, der Gebrauchsgegenstände, der Wohnung und des Wohnhauses ist demnach nicht bloß eine Frage der Schönheit oder der äußeren Erscheinung, sie ist ebenso sehr ein Frage der Handlichkeit, Brauchbarkeit und Bequemlichkeit, derart, daß das Ästhetische überholt wird durch das Praktische (...). Die einseitige und alleinige Betonung des Praktischen muß das Thema ausdörren, ebenso die Betonung des Ästhetischen alles (...) ersticken wird. Das zweite ist heute weniger zu befürchten, da die Ästhetik als solche in Mißkredit geraten ist und jede Betrachtung von Formfragen erst dann legitim ist, wenn ihr das Rationelle des Maschinenwesens zugrunde gelegt worden ist. Unverwüstliche Gesundheit und Muskelkraft sind die Kennzeichen des Menschenideals, das dieser Betrachtungsweise entspricht: blasse Wangen, Nachdenken, Zweifeln, Suchen und schließlich Finden nach intensivem Schürfen, das sind die verachteten Züge des Menschentyps, für den das hohe Wort „Typ“ schon nicht mehr geduldet wird. Er gilt heute noch als der lächerliche Individualist, der „Typ“ dagegen schreitet mit sportgebräuntem Gesicht, mit energischem Unterkinn, trainierten Kaumuskel durch unsere Welt der Rationalisierung. Strammforsche Urgesundheit mit stahlgehärtetem Griff am Motorhebel. (...)

Welche Form die Dinge der Umwelt haben, das hängt also einzig und allein vom Menschen selbst ab, sowohl von dem einzelnen wie von der Gesamtheit. Die Wohnung ist der unmittelbarste und grausamste Spiegel jedes einzelnen Menschen. (...) Die Wohnung und ihr Aussehen, die Art, wie sie bewohnt wird, dies alles ist uns tatsächlich näher als unser - Hemd. Hier kann kein Fleck durch etwas anderes verdeckt werden; daher die durchgängige Scheu vor fremden Augen in der Wohnung, daher das Verhängen, Verhüllen, Verdecken. Die Wohnung ist dem einzelnen näher als sein Hemd, und doch richtet sich gerade hier der einzelne weniger nach sich selbst als nach dem, was die anderen tun. So wird die Wohnung trotz ihres natürlichen Individualcharakters weitaus mehr zu einer Frage der Kollektiverzeugung, der Konfektion, der Mode. Schwankt die Mode in der Kleiderkonfektion sehr leicht und rasch, so geht das in der Wohnungskonfektion nicht so leicht, weil die Wohnungseinrichtung in allen Einzelheiten sich in zu viele „Branchen“ gliedert und überhaupt der materielle Apparat zu schwerfällig ist. Dazu wird er aus Konjukturgründen von der Produktion absichtlich immer schwerfälliger gemacht, da immerfort aufs neue die überflüssigsten Wünsche im Käuferpublikum geweckt werden. Sonderbar: Der heutige ideale „Typ“, der durch und durch unsentimentale Kraftmeier, der kühne „sportsman“, er kriecht winselnd zu Kreuze vor dem süßlichsten Kitsch. (...)

Der Mensch formt seine Umwelt so, daß sie in Übereinstimmung mit seinem Leben steht. Es ist also nicht entfernt daran zu denken, daß der Mensch anders wird, wenn seine Wohnung anders gemacht wurde. Der Wohnungsbestand in seiner Masse wird sein Aussehen erst mit dem veränderten Menschen ändern. Hoffnung auf lange Sicht, auf Jahrzehnte, in denen die Überbildung des Rationellen, des Trainings ausgeglichen wird durch den Gegenpol. Wohnen heißt nicht bloß Hausen; wir wissen zur Genüge, wie gehaust wird. Schon das Wort „hausen“ als Verzerrung des Begriffs „wohnen“ hat eine aufhellende Kraft; ein Bild für die Verwilderung auf allen Gebieten. Da der Mensch selbst seine Umwelt formen muß, so hat es wenig Zweck, ihn durch ausgestellte Wohnungsbilder zu erziehen. An Stelle des Erziehens muß die Veränderung der Basis treten, auf der der heutige Mensch lebt. (...)

In: Bruno Taut, „Ein Wohnhaus“, Stuttgart 1927

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