: Das Land des Lächelns
Internationale Deutsche Tennismeisterschaften der Damen / Gabriela Sabatini und das Schneewittchen-Syndrom ■ Aus Berlin Matti Lieske
„Gabriela Sabatini ist die schönste aller Tennisspielerinnen!“ So tönt es einmütig aus den Spiegeln dieser Welt. Nur in der Bundesrepublik gehen die Spiegel anders. Dort nämlich ist eine gewisse Steffi Graf beheimatet. Und Steffi ist bekanntlich perfekt.
Während sich andere vom Patriotismus befallene Völkerschaften vermutlich mit der nicht unberechtigten Behauptung begnügen würden, daß Sabatini vielleicht schöner sei, Graf aber viel, viel besser Tennis spiele, sehen die Deutschen solche Halbherzigkeiten überhaupt nicht ein. Steffi hat nicht nur die Beste, sondern auch die Schönste zu sein! Und so wird, während auf dem Trainingsplatz an der Berliner Hundekehle Gabriela Sabatini die Bälle mit Urgewalt um die Ohren ihres kleinwüchsigen spanischen Coaches Angel Gimenez donnert, am Rande gelästert und gehämt, was die bösen Zungen hergeben: „Nein, dieses Kreuz, wie ein Lastwagen... Und die Beine erst, ein Elefant ist nichts dagegen... Grazie, wat heeßt'n hier Grazie, ick seh‘ keene Grazie... Mit den Schultern wäre die besser Möbelpacker geworden... Das Gesicht, naja, nicht übel, aber sonst nee.“
Auf den Punkt gebracht hat das teutonische Volksgemurmel schon vor geraumer Zeit ein Rumäne: Ion Tiriac. Steffi Graf sei die „bei weitem“ schönste Tennisspielerin, lautete das kategorische Verdikt des Karpaters, was allerdings nach dessen Kriterien auch einfach heißen könnte, daß sie mehr einbringt.
Doch was kümmert es den Mond, wenn ihn der Hund anbellt, wie Franz Beckenbauer einmal völlig zu recht dem Kölner Trainer-Parvenü Daum hinter die Löffel schrieb. Gabriela Sabatini hat von der postmodernen Schneewittchen -Neuinszenierung wohl kaum etwas mitbekommen, und die Feierlichkeiten zu ihrem 19. Geburtstag am zweiten Tag der 82. Internationalen Deutschen Damen-Tennismeisterschaften in Berlin sorgten ohnehin schnell für Klarheit, wer der Medienstar der „German Open“ ist.
Allgegenwärtige Sabatini
Die Berliner dürften Schwierigkeiten gehabt haben, Gabriela Sabatini an diesem Tag nicht zu Gesicht zu bekommen. Hie eine Parfümpräsentation, da eine vom Sponsor veranstaltete Geburtstagsparty, danach eine „Tennis Clinic“ für den Nachwuchs, Interviews, Fernsehauftritte, Fotos, Fotos, Fotos.
Während sich Steffi Graf in ihrem ersten Spiel schlapp und unkonzentriert zu einem mühseligen Sieg über Tine Scheuer -Larsen quälte, kämpfte Sabatini beharrlich mit einem Gesichtsmuskelkrampf wegen extensiven Lächelns. Ob eine Band südamerikanische Rhythmen spielte, ob sie Eltern und Bruder für die Fotografen umarmte - Gaby lächelte; ob sie eine Riesenglückwunschkarte in Empfang nahm, ob der Vertreter ihres Sponsors eine als Gratulation verbrämte Werberede für sein Produkt hielt - Gaby lächelte; ob sie mit schmierigen Fragen nach einem zukünftigen „Mann“ traktiert („Er muß nicht Tennis spielen können, er muß nur einfach und ehrlich sein“), ob sie nach den argentinischen Wahlen befragt wurde („Es ist wichtig, daß wir jetzt alle hinter dem Präsidenten stehen“) - Gaby lächelte; ob sie bei der Tennis-Clinic den Nachwüchslern die Bälle zuschaufelte oder das Parfüm „Gabriela Sabatini“ präsentierte - Gaby lächelte. Ihr Geburtstag geriet zu einer gewaltigen Glamour-Offensive, wie sie das Berliner Turnier noch nicht erlebt hatte.
Den Veranstaltern kann es nur recht sein. Sie wurden in den letzten Wochen arg von Absagen gebeutelt. Martina Navratilova erkannte rechtzeitig, daß sie wohl kaum eine Chance gehabt hätte, auf dem langsamen Sandboden an der Hundekehle das Finale zur erreichen, und setzt ihre ganze Energie nunmehr daran, zum neunten Mal Wimbledon zu gewinnen. Doch nicht nur Navratilova, auch Arantxa Sanchez, Hana Mandlikova und die „Spielerin der Zukunft“, die Jugoslawin Monica Seles, die kürzlich Chris Evert glatt besiegte und „sehr hart schlägt für eine Fünfzehnjährige“ (Sabatini), gaben den Berlinern einen kurzfristigen Korb. So verhindert allein Sabatini, daß das Turnier zu einer solchen „One-Woman-Show“ wird wie im letzten Jahr, als Steffi Graf ganze 230 Minuten benötigte, um die 60.000 Dollar für den Turniersieg einzuspielen, 260 Dollar pro Minute. 88 Minuten verbrauchte sie jetzt bereits in ihrem ersten Match gegen Scheuer-Larsen, die Uhren gehen diesmal eindeutig anders.
Parforce-Jagden
Auch Sabatini ließ es bei ihrem ersten Sieg (6:4, 6:2 gegen die Österreicherin Petra Ritter) langsam angehen und begeisterte bislang vor allem mit ihrem Training, das mehr Zuschauer anzieht als manches Match auf dem Center Court. Schneller als jede Ballmaschine kramt Angel Gimenez, angetan mit einem T-Shirt, auf dem er „Solidarität mit der Dritten Welt“ fordert, die Bälle aus einer großen Tasche und verteilt sie in alle Richtungen, während auf der anderen Seite des Netzes die argentinische Weltranglistendritte hin und herflitzt und die Filzkugeln mit Macht oder Gefühl in die äußersten Ecken des Platzes befördert. Zwischen den Parforce-Jagden lächelt sie, schnappt eifrig nach Luft und wirft sehnsüchtige Blicke auf den Nebenplatz, wo die Französin Demongeot mit ihrem Coach ein gemütliches Training absolviert. Aber schon greift Gimenez wieder in die Tasche und Gabriela Sabatini stellt sich erneut in Positur. Schließlich will sie die Nummer 1 werden.
Damit aber die bei ihrer Geburtstagsparty anwesenden Journalisten nicht vergessen, was sie schon ist, bekamen sie neben zahlreichen Geschenken von der Tennistasche über den Parfüm-Vaporisator bis zum argentinischen Wein auch ein Farbfoto der Holden verehrt, handsigniert, versteht sich. Wer könnte da noch widerstehen? Alsdann: Wer ist die Schönste im ganzen Land? Keine Frage: The Winner is Schneewittchen
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