: Nylonstrumpf & Nyltesthemd
■ Vom Wiederaufbau bis zum Wirtschaftswunder: Mit einer Revue über die verrückten 50er feiert die Bremer „Nylon Combo“ Premiere / „So schön, schön war die Zeit“
Das nylon-bestrumpfte Frauenbein, mit aufwärtsstrebender Naht von der Ferse bis zum Po, versteht sich, wurde im Nachkriegsdeutschland - und nicht nur da - zum Inbegriff weiblicher Erotik. Nylon - das war ein kriegsentscheidender Stoff. Die Amerikaner hatten daraus ihre Fallschirme gemacht, während alle anderen in der Kriegsproduktion sich noch mit Seide begnügten. Als sich dann 47 die ersten
Nylonstrümpfe in einem Chicagoer Kaufhaus-Schaufenster den Frauen anbiederten, da zerschlugen sie in einem geballten 15.000-Köpfe-Heer die Scheiben. Das hatte sich der Erfinder dieses Stoffs (lt. Duden ein „synthetisches, faserbildendes Polyamid aus Hexamethylendiamin und Adipinsäure“ mit hoher Reißfestigkeit), das hatte sich der brave Herr Nylon, natürlich nicht träumen lassen.
Und weil mit den Jahren inzwischen soviel Symbolkraft steckt in diesem Stoff, in den Nylonstrümpfen, Nyltesthemden und Perlonkitteln, ist es zeitgemäß und werbeträchtig, eine Revue zu Schlagern und Wirtschaftswunder mit dem Hinweis: „Die Nylon Combo präsentiert...“ auf Tournee zu schicken.
Drei Jahre lang arbeitet der Bremer Rainer Klotz schon an dem Projekt: Angefangen von ersten Ideen, über die Spurensuche in den ach so himmlischen Erinnerungen an die Zeit bis hin zum Aufbau der Band, zu Kostümforschung, Musikproben und Plakatedrucken.
„Wollen Sie wirklich schwarz auf gelb?“ ungläubig fragen die Drucker nach. Im Falle eines Falles...„Schwarz-Gelb“ ist seit den Fünfzigern für den Alleskleber
reserviert. In der Werbebranche mischt sich da auch keiner rein. Aber die „Nylon Combo“ tut es. Und noch eine Anleihe macht sie für ihre Reklame. Den frühen Fernsehguckern und eifrigen Krimifans fällt es vielleicht auf: Die Stahlnetz -Schrift ist's, die ihnen vom signalgelben Plakat entgegen leuchtet.
Mit viel Liebe zum Detail haben die sieben Musiker der Nylon Combo ihre Revue ausgestattet. Rund 40.000 Mark haben sie inzwischen in ihr Wirtschaftswunder investiert - ohne Sponsor. Dezente Hinweise sind es, die den in Erinnerungen schwelgenden oder nostalgisch staunenden Zuschauer ein Stückchen auf Distanz zur Nylon-Zeit bringen sollen: Originale Kinowerbung aus den 50ern zum Beispiel. „Kauft Kohle im Sommer“ war so ein Schlagwort. Oder „Eigner Herd ist Goldes wert“, so der Werbefeldzug des Bremer Eisenwarenhändlers Lotze, als die erste Wohnungsnot fast beseitigt und Mietblocks gebaut waren. Als Adenauer regierte und Rosenzucht auch in die Schlagerwelt Einzug fand, als die erste BILD-Zeitung erschien und den Aufschwung mitpropagierte, da konnte man einen Rasierapparat noch „auf Abzahlung“ kaufen. Von Re
mington-Electric zum Beispiel. In dessen aus Übersee herübergeschwappten Großraum-Büros die ersten „Locherinnen“ sich in Datenverarbeitung übten. Mit hochtoupierten, wasserstoffblonden Haaren.
Ohne erhobenen Zeigefinger präsentieren die Nylons die Schlagerwelt von Ramona und Mary Ann, spiegeln sie heile Welt und Fernweh, Italien-Romantik und Krimi-Fieber wider. „Wir mischen zwei Löffel voll Musik (von 1950-1965) mit einer Prise Erinnerung und einem Spritzer Nachdenklichkeit“ (Rainer Klotz). Die Arrangements sind feinfühlig, „really handmade“ und garantiert ohne Computersteuerung, wenn auch mit großem technischem Aufwand. Außer den sieben Musikern sind ein 20-Mann-starker Chor und ein Kriminal-Tangopaar beteiligt.
Premiere und weitere Vorstellungen sind in der Schauburg, dem Erstaufführungskino der Wirtschaftswunderzeit in Bremen. Damals noch mit 1200 Plätzen. Zu den Premieren reisten die Filmsternchen höchstpersönlich an. Ihre Autogramme begleiten die Revue als Ausstellung im Cafe. Die Premiere ist am Do. 25. Mai, eine weitere Vorstellung 30. Mai, 20 Uhr)
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