: Triumphzug des Gummibrots
In Irland tobt ein Preiskrieg zwischen neuen und alten Bäckereien ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck
Mit sonorer Stimme tönt es ständig aus dem Lautsprecher des „Crazy Prices„-Supermarkts im Nord-Dubliner Stadtteil Finglas: „Weißbrot in Scheiben nur 39 Pence. Das ist ein verrückter Preis bei Crazy Prices!“ An der Längswand gleich neben dem Eingang sind Hunderte dieser Gummibrote aufgestapelt. Die Brotmarke „Five Star“ ist neu. Niemand weiß, wo das Brot eigentlich gebacken wird. Die bekannten Markennamen nehmen sich neben dem Billigberg eher bescheiden aus, obwohl auch sie ihren Preis auf 59 Pence heruntersetzen mußten. In den irischen Supermärkten tobt der Brotkrieg.
Angefangen hatte es vor zwei Monaten, als der für seine Rücksichtslosigkeit berüchtigte Dubliner Geschäftsmann Ben Dunne die Brotpreise in seiner Supermarktkette „Dunne's Stores“ senkte. Dafür hatte er sich eigens eine Großbäckerei zugelegt, die voll automatisiert ist und nur 40 Leute beschäftigt - im Gegensatz zu 500 Angestellten in vergleichbaren Bäckereien. Zwar verstieß der Niedrigpreis gegen das Gesetz über Mindestpreise, aber anstatt Dunne zu verklagen, zog es die irische Regierung vor, das Gesetz abzuschaffen. Die Folge war, daß die anderen Supermärkte nachziehen mußten. Überall tauchten Billigmarken auf, die nur noch die Hälfte des bisher üblichen Preises kosteten. Vermutlich stammt das Brot aus normalen Großbäckereien, die mit dem „namenlosen“ Billigbrot ihren Marktanteil behaupten wollen. Schließlich mußten auch die Preise für Markenbrot um ein Viertel gesenkt werden. Doch den Bäckereien fehlt der lange Atem, um gegen Dunne durchzuhalten. Das erste Opfer ließ nicht lange auf sich warten: Die Großbäckerei „Johnson, Mooney & O'Brien“ meldete Anfang März Bankrott an. Die 485 ArbeiterInnen der Bäckerei werden mit Staunen die Rede des irischen Regierungschefs Charles Haughey vernommen haben, der die Vorzüge des freien Marktes pries und sich weigerte, die Preiskontrolle für Brot wieder einzuführen. Vier weitere über 150 Jahre alte Großbäckereien kündigten einem Teil ihrer Angestellten zu Ostern. Zwar setzte die „Quinnsworth„ -Kette den Brotpreis danach herauf, aber der Schock der Entlassungen hielt nicht lange an. Schon vier Tage später war der Preis auch bei „Quinnsworth“ wieder unten, weil Ben Dunne sich von den Arbeitsplatzverlusten gänzlich unbeeindruckt zeigte. Nun war Dunne noch nie für soziales Bewußtsein bekannt. Vor einigen Jahren machte er Schlagzeilen, als er seine VerkäuferInnen anwies, Obst aus Südafrika zu verkaufen. Wer sich weigerte, flog raus. Das führte zu dem längsten Streik in der irischen Geschichte, der nur deshalb beendet wurde, weil die Regierung den Verkauf südafrikanischen Obstes schließlich verbot. In seinen Supermärkten stellt Ben Dunne hauptsächlich Teilzeitkräfte ein, für die keine arbeitsrechtlichen Bestimmungen gelten. Bei dem Brotkrieg geht es Dunne um das Monopol. Spätestens dann wird es auch mit dem Billigbrot vorbei sein. Schon jetzt beherrscht Dunne 25 Prozent des Brotmarktes im Einzelhandel. Die meisten irischen Bäckereien sind völlig veraltet und können mit Ben Dunnes vollautomatischer Fabrik nicht konkurrieren. So glaubt auch der Wirtschaftsexperte John Fitz Gerald, daß die Bäckereien das erste Opfer des europäischen Binnenmarktes im Jahr 1992 sein werden. Bisher gelang es durch langwierige Zollformalitäten, die Bäckereien vor Importen aus Nordirland zu schützen.
Bei „Crazy Prices“ sind inzwischen drei Angestellte damit beschäftigt, die Regale mit Billigbrot aufzufüllen. Da der Supermarkt etwas abseits liegt, setzt er eigene Sonderbusse ein, um die Kaufwütigen aus den umliegenden Stadtteilen kostenlos ins „Paradies der verrückten Preise“ zu transportieren. Nach jeder Busladung sind die „Five Star„ -Regale wie leergefegt. Ein älterer Herr klagt: „Es ist schade um die ganzen traditionsreichen Bäckereien. Früher gab es in jedem Ort eine Bäckerei. Das ist wohl nun vorbei. Für mich ist das Billigbrot natürlich sehr verlockend. Ich habe eine große Familie.“ Sagt's und packt sich fünf der elastischen 800 Gramm-Laibe in den Einkaufskorb.
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