: Die Ecu ist auch Scharnier
■ Die EG-Regionalpolitik zwischen der Euro-Zentralbank und den Konzentrationsprozessen / Ein Dreistufenmodell ohne Zeitplan
Teil 16: Dietmar Bartz
Für UrlauberInnen hat eine einheitliche EG-Währung und die zugehörige Euro-Zentralbank, die diese Währung herausgeben soll, etwas Bestechendes. Der Euro-Taler, nennen wir ihn ruhig „Ecu“, gälte von Portugal bis Schottland, von Cork bis Thessaloniki als gesetzliches Zahlungsmittel; Umtauschaktionen würden entfallen. Wenn die einheimischen Währungen vielleicht auch noch in Umlauf wären - über den gemeinsamen Ecu wären sie durch Festkurse miteinander verbunden. Die Waren müßten natürlich in dieser Zeit einheitlich in zwei verschiedenen Währungen ausgezeichnet werden.
Doch der künftige Fortfall der nervigen Gänge zu den Wechseltresen hat mit der Realität etwa soviel zu tun wie die Teflonpfanne mit der Mondlandung - die Verkündung der angeblichen Vorteile ist eine akzeptanzfördernde Maßnahme wie der EG-Paß, der Euro-Führerschein und die Europawahl. Denn der politische und finanzielle Preis ist hoch. Im Fernziel geht es um eine vereinheitlichende EG-europäische Wirtschaftspolitik, für die eine einheitliche Währung die Voraussetzung und eine ungeheuer teuer kommende Regionalpolitik die Folge ist.
Notwendig dafür ist eine Bereitschaft in den zwölf Mitgliedsländern, zugunsten der EG-Kommission als Behörde, nicht aber zugunsten eines mit wirklichen Kompetenzen ausgestatteten Europaparlamentes auf große Teile der Entscheidungsbefugnisse bis hin zur Haushaltssouveränität zu verzichten. Welche Bedeutung hat nun die Diskussion um die Europäische Zentralbank (siehe Serien-Folge 7) für die Fusionsprozesse?
Ein Dreistufen-Modell für die Europäische Währungsunion hat das Delors-Komitee unter der Leitung des namengebenden Kommissionspräsidenten vorgelegt, das an diesem Wochenende von den EG-Wirtschafts- und Finanzministern in Gerona vordiskutiert wird. Über dieses Modell werden sich im Juni auf dem EG-Gipfel in Madrid die Regierungschefs vor allem mit der Regierungschefin in London streiten. Zu vermuten steht, daß die Euro-Zentralbank das Vorzeige-Ergebnis für die französische Präsidentschaft werden soll, die sich an die jetzt zuende gehende spanische anschließt. Auch aus einem anderen Grund hat Mitterand Anlaß dazu: Schließlich ist das Europäische Währungssystem vor zehn Jahren von seinem Amtsvorgänger Giscard d'Estaing zusammen mit Helmut Schmidt ins Leben gerufen worden.
In der ersten Stufe sollen die Länder, die bisher nicht Mitglieder des Europäischen Währungssystems (EWS) sind, dieser Einrichtung beitreten. Es handelt sich dabei um Großbritannien, Griechenland, Portugal und Spanien. Schon existierende wirtschaftspolitische Instrumente sollen zur engeren wirtschafts- und währungspolitischen Zusammenarbeit genutzt werden - das meint vor allem Interventionsmechanismen, um die Wechselkurse der Mitgliedswährungen innerhalb der festgelegten Bandbreiten zu halten, und die Ab- und Aufwertungen innerhalb des EWS. Im zweiten Schritt sollen ein europäisches Zentralbankensystem aufgebaut und gemeinsame wirtschaftspolitische Ziele verfolgt werden - in dieser Phase muß folglich die Stabilitätspolitik der Bundesbank, die das EWS schon jetzt dominiert, in der ganzen Europäischen Gemeinschaft auch praktisch durchgesetzt werden: die Senkung der Inflationsrate und der Abbau von Staatsverschuldung und Haushaltsdefizit als absolute Priorität, dazu eine konsequente Ablehnung aller kostenträchtigen Konjunkturprogramme - und seien sie noch so umwelt- und beschäftigungsorientiert.
In der zweiten Phase soll zudem der Lastenausgleich zugunsten der ärmeren Regionen organisiert werden. Der ist nötig, weil ansonsten das Währungssystem auseinanderfliegen würde. Wenn etwa die französische Inflationsrate um drei und die bundesdeutsche um zwei Prozent zunimmt, wird der Wertverlust des Franc gegenüber der D-Mark heute noch durch einen steigenden D-Mark-Kurs gegenüber dem Franc ausgeglichen. Ein Fixkurssystem ist hingegen auf die harmonische Entwicklung aller Wirtschaftsfaktoren in allen Ländern angewiesen:Produktivitätsraten, Lohnkosten und Arbeitslosenquoten, Haushaltsdefizite und Steuersätze, das Zinsniveau und der Geldmengenzuwachs, vor allem aber die Inflationsrate. Wenn diese Größen differieren, die Wechselkurse aber stabil bleiben sollen oder gar eine einheitliche Währung institutionalisiert ist, wird's teuer: Dann muß Kapital in diese Länder, um vor allem mit Investitionen das Wirtschaftswachstum anzukurbeln.
So ist die EG-Agrarpolitik bisher nicht einfach nur irrsinnig teuer, sondern sorgt eben auch für stabilere Wechselkurse. Eine ähnliche Funktion ist von einer expliziten Regionalpolitik zu erwarten, die der Verarmung ganzer Regionen zuvorkommen muß, wenn die Integrationsgewinne schon vor allem den Zentren zukommen werden und die wirtschaftliche Schere zwischen reichen und armen Regionen sich immer mehr öffnet. Viel, viel Geld wird dort im Spiel sein. In der dritten Stufe soll die Einheitswährung in Kraft treten und die Wirtschafts-, Steuer -, Zins- und Haushaltspolitik von den Beamten in Brüssel koordiniert sein - mit Vorgaben, die sich am bundesdeutschen Vorbild orientieren sollen.
Für die fusionshungrigen oder zur Konzentration gezwungenen Firmen und Konzerne ergeben sich aus einem solchen Katalog vielfältige Konsequenzen. Unmittelbar sind es Vereinfachungen wie der Wegfall von Wechselkurs-Risiken und Rationalisierungen im Verwaltungsbereich, die vor allem den Euro-Multis zugute kommen. Rationalisierungseffekte gibt es auch bei der Lobby-Arbeit - Brüssel ist dann definitive Anlaufadresse.
Wichtiger ist die Homogenisierung der Politik und die vergrößerte Kalkulierbarkeit nationaler Regierungen und Parlamente durch Konzerne, die sich die Bedeutung wirtschaftspolitischer Maßnahmen auf Lire und Pfennig ausrechnen können. Veränderungen im politischen Kräfteverhältnis in der EG werden sich wegen der schieren Größe des neuen Gebildes oft ausgleichen, jedenfalls insgesamt langsamer ablaufen als etwa die Wertveränderungen innerhalb einzelner Mitgliedsstaaten - die Katalysator -Diskussion ist ein hübsches Beispiel für den fortdauernden Wegfall kostenträchtiger Modernisierungen.
Die bedeutendste Dimension hat jedoch die Industriepolitik der EG-Kommission, die beileibe nicht nur aus Gefälligkeiten den Konzernen gegenüber zu bestehen braucht - die BürokratInnen in Brüssel haben auch Eigeninteressen. Regionalpolitische Auflagen bei der Genehmigung von Fusionsprozessen sind keinesfalls unwahrscheinlich - da dürfte die Bundesregierung angesichts solcher Traditionen etwa in Italien oder Frankreich gegenüber den großen Staats und Privatkonglomeraten zurückstecken müssen. So könnte der französische Konzern Dangereux den italienischen Konzern Pericoloso künftig dann schlucken dürfen, wenn Dangereux das Pericoloso-Werk in Kalabrien nicht schließt und anbietet, zugleich die eigene Produktionsstätte in Andalusien oder Liverpool zu erweitern und nicht die in Budapest. Die begründbare Unterstellung, auch die EG-Kommission wolle Konzerne gegen die Konkurrenz aus Japan und den USA zusammenzimmern, hat auch eine Entsprechung nach innen: die EG-Multis, wenigstens die kleineren, in die Regionalpolitik mit einzubinden, um mit ihrer Hilfe etwa auch Beschäftigungspolitik zu betreiben. Bis sich dafür in Brüssel identifizierbare Prioritäten herausgebildet haben, dürfte allerdings noch so manche Politiker-Tagung und Vorstandssitzung nicht mit Fusionen, sondern mit Konfusionen enden.
Wohlweislich hat das Delors-Komitee für das Dreistufen -Modell, mit dem sich die Krönungstheorie (Zentralbank als Abschluß, nicht als Anfang der Währungsunion) weitgehend durchgesetzt hat, einen Zeitplan erst gar nicht vorgeschlagen. Wenn es denn aber zu einem Festkurssystem im ganzen EG-Europa kommen sollte, müssen riesige Geldmengen in Bewegung gesetzt werden. Und wie schon die EG-Agrargelder den Konzentrationsprozeß erheblich beschleunigt haben, werden auch die im wahrsten Sinne des Wortes notwendigen Regionalmittel die Begierde der Großen wecken, die als flexibelste und europäischste an die meisten Fleischtöpfe kommen. Der Wachstumsschub, den die Regionen dadurch erhalten sollen, wird sich deswegen am deutlichsten in den Firmenbilanzen niederschlagen.
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