: „Wir sind loyale Bürger und Berliner!“
■ 7.000 Menschen demonstrierten am Samstag anläßlich des Mordes an Ufuk Sahin / Rangeleien vor einer braunen „Bauernstube“
Die Mutter von Ufuk Sahin konnte an der Demonstration vom vergangenen Samstag nicht mehr teilnehmen. Am Freitag hatte sie, wie es eine Verwandte des Ermordeten auf der Abschlußkundgebung des Protestmarsches am Rathaus Schöneberg formulierte, „den schwersten Gang“ getan, „den eine Mutter antreten kann“: Sie war mit der Leiche ihres Sohnes in die Türkei geflogen, um ihn dort zu beerdigen. „Seit Tagen fragt der zweijährige Sohn Ufuks nach seinem Vater!“ berichtete eine Tante des 24jährigen Opfers auf der Kundgebung. „Wir haben ihm gesagt, er wäre im Krankenhaus und haben ihm zum Trost ein Spielzeug mitgebracht. Dann haben wir dem Kleinen gesagt, das Spielzeug käme von seinem Vater. Aber er wird seinem Sohn nie wieder etwas schenken können.“
An dem Protestmarsch beteiligten sich über 7.000 Menschen, darunter sehr viele Berliner türkischer Nationalität. Gerade bei der jüngeren Generation, die in Berlin großgeworden ist, war dieser Mord offenbar der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte. In einem offenen Brief an Walter Momper äußerte die 'Türkische Gemeinde Berlin‘, ein Dachverband türkischer Vereine und Organisationen, daß der Mord an Ufuk Sahin „bei unseren Landsleuten wieder Angst und eine spürbare Wut erzeugt“ habe.
Als der Demo-Zug in der Martin-Luther-Straße an einer Kneipe namens „Bauernstube“ vorbeimarschierte -eines der Etablissements, die man zum einen an ihren gelben Gardinen und zum anderen an ihrem unverwechselbaren Geruch erkennt bauten sich ein paar braune Pissnelken vor der Eingangstür auf, um die DemonstrantInnen mit erhobenem rechten Arm zu „grüßen“. Die Polizei ahnte das sich anbahnende Debakel und trieb die Rassisten zurück in ihren Stall an die Tränke, postierte sich vor dem Lokal, um die türkischen und deutschen Jugendlichen davon abzuhalten, „den Laden plattzumachen“, wie es einer formulierte. Es wurde gedrängelt, Gegenstände gegen die Scheibe und das Leuchtreklameschild der Kneipe geworfen. Ein türkischer Jugendlicher wurde durch einen Steinwurf verletzt, ebenso ein Polizist. Eine Scheibe ging zu Bruch, eine andere zitterte beachtlich. An der Frage, ob man hier und jetzt den „Kampf gegen die Nazis“ aufnehmen solle, ganz konkret und materiell, oder „lieber friedlich bleiben“ sollte, schieden sich die Geister. Die Debatte, in deren Verlauf sich Deutsche und Türken in ihrer Muttersprache zum Teil auf das Heftigste anschrien, dauerte etwa 20 Minuten. Einige AL -PolitikerInnen schoben sich mit anderen zwischen die Polizisten und 'Drängler‘ und ein Einsatzleiter versprach, alles zu tun, „daß meine Jungs hier jetzt ruhig bleiben“. Dann folgten die meisten den „Weiter! Weiter!„-Rufen, die im vorderen Teil des Zuges angestimmt worden waren. Festnahmen: Keine. Walter Momper, dessen SPD ebenfalls zur Teilnahme an der Demo aufgerufen hatte, kondolierte auf der Kundgebung den Angehörigen des Toten. Von ihnen wurdem ihm Rosen überreicht, die er auf einem Kranz zum Gedenken an Sahin niederlegte. Zu einem Grußwort des Regierenden kam es nicht, obwohl ihn die Familie des Opfers darum gebeten hatte. Eine Sprecherin des 'Komitees gegen Faschismus, Rassismus und Sexismus‘ distanzierte sich von seinem möglichen Redebeitrag - Pfiffe wollte Momper offenbar nicht riskieren und zog sein Anliegen zurück.
Der offene Brief der türkischen Gemeinde liegt nach wie vor auf seinem Tisch. Die AutorInnen fordern darin indirekt das Wahlrecht: „Man kann nicht über Jahrzehnte hinweg über zehn Prozent der Mitbürger der Stadt draußen vor des politischen Geschehens halten. Wir haben in diesem Vierteljahrhundert bewiesen, daß wir loyale Bürger, ja Berliner geworden sind.“
ccm
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