„Die SPD hat Angst vor der eigenen Courage“

■ AL-Vorstandsmitglied Christian Ströbele wirft SPD Umbiegen und Nichtverwirklichen von Koalitionsvereinbarungen vor

In der AL wächst der Ärger über die Politik des Senats und einzelner SPD-SenatorInnen, die nach AL-Auffassung von der Koalitionsvereinbarung abrücken. Kritik findet nicht nur die Entscheidung, das Rudolf-Virchow-Klinikum weiter zu bauen, sondern auch Bausenator Nagels Vorstoß zum Deutschen Historischen Museum (DHM). Daß Wirtschaftssenator Mitzscherling unwillig ist, den Stromlieferungsvertrag zwischen Bewag und Preußen Elektra zu überprüfen, hat ebenfalls Unmut ausgelöst.

taz: Rückt die SPD von den Koalitionsvereinbarungen ab?

Ströbele: Es ist noch kein Abrücken, es ist ein Nichtverwirklichen und ein Umbiegen verschiedener Vereinbarungen. Im Fall des Deutschen Historischen Museums zum Beispiel haben wir seinerzeit in den Koalitionsverhandlungen vereinbart, daß die Zuständigkeit nicht beim Bausenator liegen soll, sondern bei der Senatorin für Stadtentwicklung. Bausenator Nagel maßt sich in seinen öffentlichen Eskapaden etwas an, was nicht vereinbart wurde. Und man muß dabei ja immer wissen, daß die Koalitionsvereinbarungen auch schon ein Kompromiß waren, also ein Entgegenkommen der AL.

Wie kommt es, daß die SPD die Vereinbarungen uminterpretiert?

Die SPD hat oft Angst vor der eigenen Courage, nicht nur gegenüber der Bevölkerung und der öffentlichen Meinung, sondern auch gegenüber den Verwaltungen. Ich bin von Anfang an davon ausgegangen, daß man eine ganze Reihe der rot -grünen Vereinbarungen nur gegen die Verwaltungen durchkriegt, und die SPD versucht das eben im Konsens.

Aber gerät eine Senatorin, die gegenüber ihrer Verwaltung einen Konfliktkurs einschlägt, nicht in die Gefahr, daß die Verwaltung sie dann boykottiert?

Es gibt eine neue Politik, und diese neue Politik muß von der Verwaltung umgesetzt werden. Was nützt es, alle vier Jahre zu wählen, wenn man dann sowieso nichts machen kann, was die Verwaltung nicht will.

Liegt das Problem nicht auch in unklaren Formulierungen in den Koalitionsvereinbarungen, in allgemeinen Prüfaufträgen, die jetzt viel Spielraum lassen?

Das ist richtig. Aber die SPD sollte dann wenigstens zugestehen, daß ernsthaft geprüft wird, etwa im Fall der Stromtrasse oder des RVK.

Was für Sanktionsmöglichkeiten hat die AL denn überhaupt gegen die SPD, wenn Vereinbarungen umgangen werden?

Das ist eine Frage, die wir in der AL nun diskutieren wollen. Uns fehlen in der Tat die Mechanismen, das durchzusetzen, was wir wollen, außer der Anrufung des Koalitionsausschusses. Wir wollen uns jetzt eine Reihe von parlamentarischen Möglichkeiten ausdenken, den SenatorInnen Druck zu machen.

Was wäre da denkbar?

Man kann Themen in den parlamentarischen Ausschüssen hochziehen, wie man so schön sagt. Und es gibt ja auch die Möglichkeit, in direkten Gesprächen etwas zu klären und zwar auf hoher und höchster Ebene.

Aber an einigen Punkten hat die SPD doch schon Pflöcke eingeschlagen. Stichwort DHM: Wenn der Fraktionsvorsitzende Staffelt und der Bausenator Nagel versichern, das Museum stehe nicht zur Disposition, dann können sie doch nicht ohne weiteres wieder zurück. Da ist es doch zu spät, nachträglich im Parlament zu reagieren.

Nein, so einfach ist das nicht. Wenn die Koalitionsvereinbarungen von der SPD nicht eingehalten werden, dann hat das natürlich Konsequenzen im parlamentarischen Bereich. Es wird Anfang der neunziger Jahre eine parlamentarische Absegnung geben müssen für das Konzept des Museums. Da braucht die SPD jede Stimme der AL.

Gibt es denn Punkte, bei deren Nichterfüllung die AL die Koalitionsfrage stellen würde? Die Frage der Stromtrasse wird ja von vielen als „Sollbruchstelle“ genannt.

Solche Punkte gibt es, aber die nennen wir nicht. Das haben wir schon in den Koalitionsverhandlungen nicht getan. Da halten wir überhaupt nichts davon, solche einzelnen Sachen hochzuspielen. Die werden dann unnötig dramatisiert. Man muß das gegeneinander abwägen. Es gibt natürlich Punkte, wo wir jetzt sagen würden, entweder wir setzen das durch oder die Koalition platzt. Aber wenn man dafür in einem anderen Bereich unerwartet viel erreicht, wird das auch wieder relativiert werden können.

Interview: hmt