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Briefkopfreform

■ Der Finanzsenator legt das „Haus des Reichs“ an den Rudolf-Hilferding-Platz Zukünftig guckt Grobecker auf einen Haufen liegender und stehender Säulen

Schon lange fuchst Herrn Finanzsenator Grobecker eins: daß seine wunderschöne architekturhistorisch wertvolle Art-Deco -Arbeitsstätte an der Contrescarpe einen anrüchigen Namen trägt, Haus des Reichs. Das klingt und will nicht aufhören zu klingen nach Nazi, obwohl, und das weiß eben keiner, das Reichshaus vier Jahre davor von Nordwolle gebaut wurde und Reich nicht von den Braunen erfunden wurde.

Ein Senator der Finanzen kann da was bewegen; erster Versuch war Umbenennung durch Wettbewerb. Doch konnotationsfreie Begriffe sind rar, Haus der Republik klingt schnell zu ostig. Es blieb beim Reich, doch eine unwahrscheinlich begnadete Um-die-Ecke-Idee kam auf: Imageaufbesserung per Briefkopf! Wir nehmen einen eindeutig sauberlinken Namen in den Briefkopf, und das Mißverständnis, eine Bremer Senatsbehörde säße in einem Faschistenbau, ist aus der Welt.

Umbenennung der Contrescarpe? Vielleicht stieße da sogar Grobecker an seine Grenze. Aber da wäre ein klitzekleiner Platz vor dem Hauptportal - von Uneingeweihten kaum zu finden - eine Verkehrsinsel eher, ein Hundeklo mit 12 Parkplätzen und 3

Bäumen. Einen Künstler her, das Gartenbauamt, eine kleine Umwidmung und Schwupps: Senator für Finanzen, Haus des Reichs, Am Rudolf Hilferdingplatz 1, 2800 Bremen 1.

Rudolf Hilferding, geb. am 10.8.1877 als Sohn jüdischer Kaufleute in Wien, Kinderarzt. Schreibt für „Neue Zeit“, „Die Freiheit“. 1910 sein Hauptwerk „Das Finanzkapital“. Finanzminister der Weimarer Republik. Rudolf Hilferding steht für: Jude, Sozialist, Antifaschist, Flüchtling, Gestapoopfer und als Finanzminister für Grobeckervor

gänger, ein Glücksfall also, viel besser als der auch diskutierte Vorschlag, den Platz Lidice-Platz zu nennen, was wieder zu falschen Assoziationen geführt hätte.

Neun Künstler - von arriviert bis unterwegs - wurden um Vorschläge für die Gestaltung des Platzes angegangen, eingereicht wurden Modelle von optisch ansprechend (runde Eisenform gegen das kantige Portal gesetzt) bis zu anzüglich (ein Riesen-Monopoly, eine stahlgewordene Bilanzkurve). Den Zuschlag erhielt der symbolschwere Entwurf von

HAWOLI, d.i. Hans Wolfgang Lindemann, der seinem Namen zum Trotz die Linden entfernen, den Hundekot abtragen will, um auf Pflaster ein Ensemble von Säulen aufzustellen: vom Sockel gestürzte, die die Beziehung zum Portal herstellen, und wiederaufgerichtete, die, ein wenig kippelig, von eisernem Band zusammengehalten werden. Von außen betrachtet

-Lesart von links nach rechts - ein Bild vorsichtigen Optimismus‘, vom Schreibtisch des Senators aus gesehen, eine ständige Mahnung... Burkhard Straßman

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