: Empfangsklötze, Brotbüchsen und Tefifone
■ Dem Frankfurter Radiomuseum, der umfangreichsten Privatsammlung deutscher Rundfunk- und Phonogeräte, droht das Aus
Die Tür läßt sich bloß einen Spaltbreit öffnen. Dahinter türmen sich allerlei elektronische Gerätschaften mit antiquiertem Aussehen. Einzelheiten sind im Chaos kaum zu erkennen. Hinter dem vollgestellten Ladentisch tritt langsam eine kleine, männliche Gestalt in blauem Arbeitskittel hervor. Der bulgarische Elektrobastler und Radiosammler Dejan Dejanow begrüßt freundlich seine BesucherInnen und ist stets zu einem Rundgang durch die beiden kleinen Räume bereit: Sie beherbergen zahlreiche Raritäten, die die Geschichte des Radios dokumentieren.
Die Führung bedarf bloß weniger Schritte. Mehr sind in den völlig überladenen Räumen nicht möglich. Sperrige Musikboxen aus den fünfziger Jahren, Grammophone mit azurblauen Schalltrichtern und Ersatzteile aller Art im Durchgang machen ein beschauliches Flanieren wie in gewöhnlichen Museen unmöglich.
An die Geburtsstunde des deutschen Rundfunks erinnert ein Detektor der Marke „Nora“. Die Premieresendung, am 29.Oktober 1923 vom Berliner Voxhaus ausgestrahlt, wurde mit dem „nackten Radio“ ohne Gehäuse empfangen, das ganz ohne Strom funktioniert. Es bestand bloß aus einer Spule, einem Kristalldetektor, Antenne und Erdung. Daran wurde ein Kopfhörer oder ein Schalltrichter angeschlossen.
Wenig später schon wurden diese relativ billigen Empfänger von teuren Röhrengeräten abgelöst. Mit Batteriestrom betriebene Verstärkerröhren wurden auf flache Schaltpultgehäuse freiliegend installiert. In den Regalen Dejanows stehen daneben auch die ersten Lautsprecherboxen, ebenfalls aus der Mitte der zwanziger Jahre. In ungewöhnlich großen Holzkisten befinden sich ganz einfach vier zu einer Membran gefaltete Wachspapiere, die mit einer elektromagnetischen Spule in Schwingung gesetzt werden.
Das eigentliche Radiogehäuse wurde erst Ende des Jahrzehnts fabriziert. Im Radiomuseum finden sich so typische Modelle wie das Siemens RFE von 1929, eine Eichentruhe mit schwarzer Blechfassade und aufklappbarem Deckel, oder der altarähnliche „Sarkophag“ (Lorenz-Dreikreis, um 1930), mit denen das Radio zum Schmuckstück gutbürgerlicher Wohnzimmer avancierte.
Die zahlreichen Exponate aus jener Zeit repräsentieren das überwiegend monolithisch gehaltene Gehäusedesign: In den Regalen finden sich immer wieder die aus Holz gezimmerten Empfangsklötze, bloß mit zwei Knöpfen und einer Senderskala an der Vorderseite.
Modelle, mit denen diese starre Form experimentell aufgelöst wurde, sind nur vereinzelt zu finden. So ist der „Halbmond“ von Siemens (1931/32) eine echte Rarität im Sortiment des Frankfurter Sammlers: Die halbkreisförmige Sendeskala befindet sich inmitten einer feingemaserten Messingplatte, welche, in einem Nußbaumgehäuse eingerahmt, von weitem wie ein nächtlicher Sternenhimmel erscheint.
Was fehlt, sind die Safemodelle aus den zwanziger und frühen dreißiger Jahren. Das Bürgerradio bekam mit jenem Design die äußerlich entsprechende Gestalt einer Geldanlage, was es für gewisse Schichten ja auch tatsächlich war. Vorwiegend wurden nämlich in den ersten Jahren des Rundfunks Wirtschaftsnachrichten und Börsenkurse gesendet. Der Sendersuchknopf erhielt die Form eines Nummernrades, das an einem panzerkastenähnlichen Gehäuse montiert wurde. In Arbeiterkreisen wurden jene Safes auch spöttisch „Brotbüchsen“ genannt.
Der Volksempfänger hingegen, mit denen das Radio zum „universalen Maul des Führers“ (Adorno) und zum Massenmedium wurde, ist in den vollgestopften Regalen reichlich zu finden. Das nazideutsche Standardgerät, der VE 301, symbolisiert mit seinem Signum den Tag der Macht ergreifung Hitlers. In Gemeinschaftsproduktion von 28 Firmen wurden schon bis November 1933 eine halbe Million davon zum Discountpreis von 76 Mark unter das hörige Volk gebracht.
Die Wohlstandseuphorie der fünfziger Jahre bezeugen die Exemplare der ersten Radioweckergeneration. Eine schlichte mechanische Zeitschaltuhr zum Aufziehen steuerte noch das Empfängerteil, in das integrale Plastikgehäuse wurde nicht selten auch eine Nachtlampe eingebaut.
Auch der Vorläufer des heutigen Walkman, das ähnlich kleine Draht-Tonbandgerät, ist zu sehen. Es steht auf einer der großformatigen Musiktruhen - einem „Tefifon“ mit Radio, Plattenspieler und Tonbandteil -, die in der Adenauerära als Prestigeobjekte überall die muffig gemüt lichen Wohnzimmer schmückten. Reichlich in den verschiedensten Designs und Formaten sind auch die ersten Kofferradios vorhanden. Anstelle eines Kassettendecks befinden sich bei einigen, vertikal angebracht, an der Vorderseite Plattenteller samt Tonarm. Die trapezförmigen, abgerundeten Gehäuse, mit Schlangenlederimitaten oder weißem Kunstleder überzogen, waren ganz dem Stil der Nierentische angepaßt.
Dejan Dejanows Radiomuseum ist die umfangreichste Privatsammlung aus der deutschen Radio- und Phonogeschichte, mit den zahlreichen Hi-Fi-Produkten reicht sie bis in die siebziger Jahre. 1.600 Geräte und 20.000 Schellackplatten seit Anfang des Jahrhunderts will Dejanow in seinen beiden Ausstellungsräumen und im Keller verstaut haben. Hinzu kommen noch Hunderte von Rundfunkbroschüren aus den ersten Jahren des Radios, Klubzeitschriften, Publikationen aus der Arbeiterradiobewegung, Schaltpläne, Geschäftskorrespondenzen, Rundfunklizenzen und sämtliche Programmhefte von 1947 bis Anfang der sechziger Jahre. Raritäten, die der Markt nicht bietet, schafft sich der Bastler auch manchmal selbst. Zur Zeit baut er gerade Grammophone aus Plexiglas.
Gerne würde der Nostalgiker Grammophonabende veranstalten und sogar den 1923 gegründeten „Deutschen Radio-Club“ wieder ins Leben rufen. Eifrig ist er schon mit dem Entwurf einer Klubkarte beschäftigt. Auf ihrer Rückseite sollen nicht bloß Fotos der historischen Klubgründer, sondern auch das Bildnis Dejan Dejanows gedruckt werden.
Ob das Frankfurter Radiomuseum noch lange Bestand haben wird, ist allerdings zweifelhaft. Denn die neue Hauseigentümerin, die von der radiophonen Nostalgie weniger begeisterte Heilsarmee, hat Dejanow bis zum 30.September gekündigt. Ersatzräume sind bislang nicht in Aussicht.
Rainer Kreuzer
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