Innere Kämpfe in Partei und Regierung

Auszüge aus einem Flugblatt, das chinesische StudentInnen in Norddeutschland verteilen  ■ D O K U M E N T A T I O N

Auch in der Bundesrepublik demonstrieren chinesische StudentInnen und bekunden damit die Solidarität mit ihren KommilitonInnen in der Heimat. In Hamburg marschierten am Montag abend rund 300 durch die Innenstadt. „Wir sind stolz auf unsere Kommilitonen in Peking“, hieß es auf einem ihrer Transparente. In Sprechchören verlangten sie „Weg mit Li Peng“, „Wir wollen Freiheit, wir wollen Demokratie“.

Ein chinesischer Doktorand aus Berlin, der eigens angereist war, verteilte ein Flugblatt mit bislang nichtveröffentlichten Informationen, das wir im folgenden gekürzt - dokumentieren.

Vom 14. bis 19.Mai hat Zhao Ziyang dreimal im Ständigen Komitee des Politbüros vorgeschlagen, auf die Forderungen der Studenten einzugehen. Dreimal wurde dieser Vorschlag mit eins zu vier Stimmen abgelehnt. An der letzten Sitzung in der Nacht vom 18.Mai hat auch Deng Xiaoping teilgenommen.

Eine Sondersitzung des Politbüros beschloß die Verhängung des Kriegsrechts mit einer knappen Mehrheit. Li Peng wurde mit der Durchführung beauftragt. Er verkündete daraufhin vor den versammelten Spitzenfunktionären in Peking harte Maßnahmen. Während dieser Sitzung ging Zhao Ziyang auf den Platz des Himmlischen Friedens und deutete den Studenten seinen Willen auf Wiederkehr an.

Zhao Ziyangs Fünf-Punkte-Programm enthält unter anderem: Rehabilitation der Protestbewegung (gegen den Leitartikel der 'Volkszeitung‘ vom 26.4.1989); Bildung eines Sonderausschusses zur Überprüfung der illegalen Einkommen der Kinder von Spitzenfunktionären einschließlich seiner eigenen zwei Söhne; Veröffentlichung der Einkommen und Vermögen aller Spitzenfunktionäre und Abschaffung ihrer Privilegien; Einberufung einer sofortigen Sitzung des Volkskongresses.

2. Über die Situation der Presse:

Alle Zeitungen und die 'Xinhua'-Nachrichtenagentur sowie das Fernsehen wurden vom Militär besetzt. Die Mitarbeiter in den Redaktionen legten ihre Arbeit nieder und gingen auf die Straße. Die Li-Peng-Regierung bestimmt eine Zwangsberichterstattung mit Falschinformationen. Die Überseeausgabe der 'Volkszeitung‘ wurde verboten. Die Redaktion brachte eine Sonderausgabe heraus, in der alle Bürger in den Städten zur Verteidigung der Verfassung, zum Widerstand gegen die Li-Peng-Regierung und zur Unterstützung Zhao Ziyangs aufgerufen wurden.

3. Über die Spaltung in der Regierung,

im Volkskongreß und in der Armee:

Mehr als zehn Ministerien protestierten gegen Li Pengs Maßnahmen. Ein Teil der Beamten begann mit einem Hungerstreik. Mehrere stellvertretende Vorsitzende des Volkskongresses haben in einem Brief protestiert. Wan Li, der Vorsitzende des Volkskongresses, bezeichnete in einem Interview in Kanada Li Pengs Verhalten als verfassungswidrig. Er mußte seine Reise abbrechen und wurde nach seiner Rückkehr entmachtet. Deng Yingchao, die Witwe des ehemaligen Ministerpräsidenten Zhou Enlai, soll bekanntgegeben haben, sie würde aus der KPCh austreten, wenn die Armee gegen die Studenten mit Gewalt vorgehen würde. Der Oberkommandant der 38.Armee wurde abgesetzt. Zwei seiner Kinder befinden sich ebenfalls unter den protestierenden Studenten auf dem Platz des Himmlischen Friedens.

4. Über die jetzige Lage in Beijing:

Die Spannung hält an. Die Bürger verteidigen ihre Barrikaden Tag und Nacht. Der Befehl für die Armee wurde nicht aufgehoben. Es gibt keine Sondersitzung der KPCh. Deng soll nicht in Beijing sein, sondern in Wuhan oder seiner Heimatstadt Chengdu. Über Zhao Ziyang erfährt man nur, daß er von sich aus nicht zurücktreten wird. Die Schlüsselpersonen unter Zhaos Führung werden überwacht, ihre Telefone abgehört und ihre Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Ihnen droht jederzeit die Gefahr, verhaftet zu werden.

Quelle: Persönliche Telefonate mit Journalisten der Agentur 'Xinhua‘ und der 'Volkszeitung‘ sowie aus dem engeren Kreis Zhao Ziyangs