: Zirkus für Gorbatschow - UFAs auf dem Roten Platz
■ Im Sambarausch vorm Kreml / Freaks im Offizierskasino / Start der gesamteuropäischen „Friedenskarawane“
Nach sechs Tagen Moskau ist gestern abend der UFA-Zirkus wieder in Berlin gelandet, zufrieden, fast glücklich und überzeugt, an einem bedeutenden Ereignis teilgenommen zu haben.
„Ich glaube, so lassen sich die Russen gerne von Deutschen erobern“, bilanzierte Juppi von den UFAs den Besuch. Der „Fabrikchef“ meinte die Teilnahme der Gruppe an einer erstmals gebildeten gesamteuropäischen Friedenskarawane, „Mir-Caravan“, die von Moskau über Leningrad, Warschau und Berlin bis Bologna ziehen soll. 200 Akteure aus mehr als sechs Nationen bilden das fahrende Völkchen und wollen vornehmlich mit Straßentheater zeigen, daß „Kultur über Grenzen geht“.
Die erste Probe hat das moderne Abenteuer, so die Veranstalter, bestanden. Die Tücken des sowjetischen Apparats wurden trickreich mit Hilfe eines angehenden Doktors der Philosophie, Valerie M. Tarbokow (Ex -Komsomolsekretär), und der ruhmreichen sowjetischen Armee überwunden. Sie stellte den Freaks aus Polen, der CSSR, Frankreich, Spanien, Großbritannien, Holland und West-Berlin ihr Kulturzentrum inklusive Kasino in einem Park zur Verfügung. Wald und Wiesen verwandelten sich bald in einen (Irr-)garten der Lüfte. Aufsehenerregendstes Spektakel war zweifellos das Stück Katastrophe von der Gruppe Licedei aus Leningrad. Es wurde auf der Straße vor dem Theater der Armee beziehungsreich in Szene gesetzt. Für Rauch und Löschschaum sorgte die Feuerwehr. Die 30 Leute vom UFA -Gelände in Berlin-Tempelhof brachten vor allem mit ihrer Sambagruppe das Blut der 2.000 Moskauer während der Eröffnungsgala in Wallung, das ganze Theater ein Hexenkessel. Ein Auftritt vor den Kremlmauern am Fuße der berühmten Basilika gerade während des ZK-Plenums am Montag nachmittag wurde zum Höhepunkt. Lenin blickte groß und gelassen vom Kaufhaus Gum auf das hitzige Geschehen, obwohl das Wetter nicht mitspielte. Regenböen sausten über die Piste. Trotz Trommelwirbels war es wie ehedem: Über Moskau steht der Kreml, und über dem Kreml ist nur der Himmel.
Benedict M. Mülder
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