: Warum nicht Hamlet mal als Frau?
■ Die „Compass Theatre Company“ gastierte im Modernes mit ihrer „Hamlet„-Inszenierung Ein unsynchronisierter Shakespeare / Heute abend „Volpone“ von Ben Jonson
Das ist schon ein wenig keck, wenn die Rolle des Hamlet mit einer Frau besetzt ist, und in den ersten Szenen mag man es auch nicht so recht einsehen. Die misogynen Äußerungen des tragischen Helden wie „Schwachheit, dein Name ist Weib“ werden da zwar ironisch gebrochen, aber ansonsten spielt Helen Schlesinger wie ein Mann und die Motive für diese ungewöhnliche Besetzung werden nie ganz klar.
Aber wenn dieser Hamlet aufdreht, immer intensiver und energischer wird, und dabei immer weniger wie der zögernde Grübler wirkt, wird eine andere Spannung deutlich. Die Rolle wird zwar mit viel Pathos, manchmal knapp am „overacting“ vorbeigespielt, aber dennoch wirkt dieser Hamlet sehr modern, lebendig, nicht wie eine Kunstfigur.
Und diese Spannung durchzieht auch die gesamte Inszenierung. Einerseits bieten die sechs Schauspieler in mehr als doppelt so vielen Rollen klassisches Theater mit großen Gesten und in einem prächtigen Englisch. Im Gegensatz dazu steht die Sparsamkeit der Mittel, mit denen auf
der Bühne die Illusionen geweckt werden. Die Not eines Tourneetheaters, das nur mit wenig Gepäck reisen kann, wurde hier zur Tugend: auf der Bühne stehen nur zwei Bastkörbe, Stühle, Kerzenleuchter und wenige Requisiten werden verwandt. Dazu eine raffiniert eingesetzte Beleuchtung und Begleitmusik, die auf Trommeln, Trompete und Klarinette von den Schauspielern auf der Bühne gespielt wird. Mit diesen wenigen Mitteln werden ganz verblüffende Wirkungen erzielt. Der Auftritt des Geistes von Hamlets Vater wirkt wirklich gruselig, auch wenn die Bühne fast leer ist und am Rand die nicht spielenden Schauspieler sitzen.
Bei jeder Hamlet-Inszenierung müssen zwei Untiefen umschifft werden, zwei Stellen, auf die Theaterklischees gehäuft sind wie auf kaum eine andere: „Sein oder Nichtsein“ und die Szene mit dem Totenkopf. An Hamlets Monolog versuchte sich Regisseur Neil Sissons leider vorbeizumogeln, er wird „normal“ mit viel Pathos vorgetragen, als sei nichts gewesen, und das wirkt halbherzig. Viel besser dagegen die Fried
hofsszene mit dem Totengräber, der plötzlich einen Ghettoblaster aus seinem Säckel holt und zu Michael Jacksons „Thriller“ eine Tanzeinlage bringt - danach konnte Hamlet dem Gummischädel noch so tief in die Augenhöhlen blicken: Dieses Klischee wurde glorreich erobert.
Sisson hat so viel Humor in die Tragödie gepackt wie es die Werktreue gerade noch zuließ. Die Hofleute Rosenkranz und Güldenstern wurden zu grotesken Hofnarren mit Klingelkappe und verformten Körperformen und die Auftritte des Oberkämmerers Polonius, mit Perücke und sehr höfischem Gehabe, waren durch und durch witzige Miniaturen. Man merkte, wie sich an diesen Freiräumen des Stückes der Spielwitz der Schauspieler drängelte.
Ein wenig machte die „Compass Theatre Company“ hier auch schon Werbung für ihr zweites Stück, denn heute abend spielen sie die Sittenkomödie „Volpone“ von Shakespeares Zeitgenossen Ben Jonson, and that will definitely turn out to be a funny night.
Wilfried Hippen
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