: Das Elend der gestylten Stadt
Über den Zusammenhang zwischen Krawall, Stadtplanung und Ordnungspolitik ■ K O M M E N T A R
Es ist traurig und läßt die Hoffnung auf eine neue Politik für diese Stadt schwinden, wenn der SPD-AL- Mehrheit im Bezirksamt Kreuzberg nichts Besseres einfällt, als fünf Zelte, aufgeschlagen auf dem Mariannenplatz, räumen zu lassen. So geschehen am Mittwoch morgen. Aus Protest gegen die Räumung der Oranienstraße 192 waren sie einige Tage zuvor aufgestellt worden.
Was, so bleibt die Frage jenseits der Tatsache, daß es sich hierbei um eine politische Demonstration handelte, macht es den PolitikerInnen unmöglich, auf einem öffentlichen Platz Zelte zu akzeptieren? Ein Blick auf deren Argumente tut deutsche Abgründe auf. „Massenhafte Beschwerden“ habe es gegeben, sagte Bezirksbürgermeister König, als er das Räumungsbegehren stellte. Das Bezirksamt reagiert prompt und macht sich zum Vollzugsgehilfen des Volkszorns. Und nicht nur das. Das Amt selbst ist von Ordnungs- und Sauberkeitsdenken getrieben. „Die wenigen Parks, die wir haben, dürfen nicht als Campingplatz mißbraucht werden.“ Der dies sagte, ist AL-Stadtrat Jordan. Doch worüber konnten sich die Spießbürger, das ruhige Leben am Mariannenplatz gewohnt, eigentlich beschweren? Und was, bitte, heißt es, einen Platz zu mißbrauchen?
Die Antworten finden sich im Ordnungswidrigkeitenkatalog. Ruhestörender Lärm, Feuer auf offenem Straßenland, usw, usw. Entschieden wird nicht politisch, nicht einmal nach dem „gesunden Menschenverstand“. Die Politiker entpuppen sich als genau das, was die BesetzerInnen wahrscheinlich von ihnen halten: willfährige Handlanger staatlicher Gewaltherrschaft. Alle bequemen Vorurteile aus autonomen Kreisen werden also im Handumdrehen erneut bestätigt. Die Diskussion der Nach-1.-Mai-Zeit, der Versuch, festgefahrene Feindbilder aufzubrechen, ist damit wieder zurückgeworfen.
Szenenwechsel. Der Görlitzer Bahnhof wird zum Park umgestaltet. Ganz demokratisch, unter Beteiligung von Anwohnern, entsteht, postmodern, die Kunstnatur. Hügel, ein Bach, Brücken. Gestaltete Landschaft mitten in der Großstadt. Was passiert? Die neu erschaffene Natur verdrängt die Menschen. Denn auch dieser Park wird nicht „mißbraucht“ werden dürfen, was ja nur heißt, daß das dort mögliche Verhalten genau definiert ist. Die Tatsache, daß die Anwohner wollen, daß man stupide auf gepflasterten Wegen um einen künstlichen See herumrennt, kann für verantwortliche Politiker und Stadtplaner kein Argument sein, sich dem unterzuordnen. Politik hat die Aufgabe, auch verborgene Bedürfnisse und solche, die verstellt zum Ausdruck kommen, aufzugreifen.
Der Zusammenhang zu den Krawallen ist sicher nicht kausal. Doch bleibt die Randale offenbar für viele als einzige Möglichkeit übrig, sich als lebendiger, das heißt tätiger Mensch zu erleben. Auf diese Art von Armut hat die Politik bislang keine Antwort.
Brigitte Fehrle
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