Standbild: Schwarz-Rot-Goldenes Lamento

■ 40 jahre Bundesrepublik deutschland. Ein Grund zum Feiern?

(40 Jahre Bundesrepublik Deutschland. Ein Grund zum Feiern? 23.Mai, 22.10 Uhr, ZDF) - Sie sind leicht zufrieden zu stellen, unsere demokratischen Ziehväter, die stolzen Besieger Hitlers von einst. Melvin J.Lasky, USA, zeigte sich schon beeindruckt davon, daß die Bundesrepublik es trotz Wiuederbewaffnung geschafft hat, die Niederlande und andere kleinen Nachbarn nicht zu überfallen. Und Nikolai Portugalow, UdSSR, wunderte sich über das Fragezeichen im Titel der Sendung und ignorierte das Stichwort „Bollwerk des kalten Krieges“, das die ansonsten etwas glatten und flapsigen Moderatoren (Guido Knopp und Rudolf Radke) ihm lieferten. Den vernünftigsten Grund zum Gratulieren hatte Alfred Grosser, Frankreich: Die aktuelle Wiederwahl Richard von Weizsäckers zum Bundesrepräsidenten. Warum übrigens sogar bei diesem Anlaß ein Parteien-, aber kein Sieger -Proporz? Die angekündigten Teilnehmer Barzel (CDU), Leber (SPD) und Schily (Grüne) hatte man noch durch Mischnick (FDP) komplettiert - ein nachdenklicher Veteran der Besatzungsmacht Großbritannien fehlte.

Daß kontinuierliche Rechtstaatlichkeit und verbreiteter Wohlstand Gründe genug sind, die bisher stabilste Demokratie auf deutschem Boden kräftig zu feiern, darüber war man sich auch unter den deutschen Teilnehmern einig. Nachdem in eingeschobenen Interview-Fetzen sogar Bewohner von Tel Aviv, Rotterdam und Washington von einer „formidablen Entwicklung“ und dem „leuchtenden Beispiel“ der Bundesrepublik geschwärmt hatten, in der die „fleißigsten Menschen der Welt“ „unglaubliche Leistungen“ vollbracht hätten, stand dem alten Gewerkschafter Georg Leber der „Stolz“ auf sein Land nicht nur in den Augen sondern auch sentimental auf den Lippen. Der Konservative Barzel mochte demgegenüber ausdrücklich nur von „Dankbarkeit“ reden.

Bei so viel Lob und Eigenlob aus der zur Abwechslung wieder einmal nur aus Männern zusammengesetzten Runde war für Skepsis kein Platz. Niemand der neun überwiegend älteren Herren kam auf die naheliegende Idee, daß die hochgerühmte demokratische Stabilität vielleicht gar nicht so sehr uns Deutschen selbst zu verdanken ist, sondern vor allem dem vorsorglichen „containment“, der stillschweigenden Bevormundung durch die Besatzungsmächte und späteren Verbündeten, die aus guten Gründen ein wirklich souveränes Deutschland fürchten.

In der Titelfrage schnell einig, palaverte man bald über aktuelle Konflikte in der Nato, dem kommenden EG -Binnenmmarkt, die Demokratisierung in Osteuropa und alles mögliche andere, nur nicht über das Grundgesetz, zu dessen 40.Jubiläum das Ganze veranstaltet wurde. Von den Schattenseiten des Verfassungstages, die laut Programmankündigung nicht vergessen werden sollten, kam nur die deutsche Teilung zur Sprache, die allerdings in der üblichen, ebenso nichtssagenden wie verlogenen Briete. Die treffendste Bemerkung dazu machte einer der nebenbei auch noch interviewten Schüler, der lapidar meinte, der EG -Binnemarkt werde für die deutsche Einheit ähnlich förderlich sein wie der Nato-Beitritt der Bundesrepublik in den fünfziger Jahren.

Nur Otto Schily streifte en passent die Frage, die man im Zentrum dieser Sendung erwartet hatte: was spielt sich unterhalb des Grundgesetzes, im politischen Denken und Verhalten der Deutschen ab. Schily wies auf die vielen Bürgerinitiativen hin, um zu belegen, daß wir seit 20 Jahren auf dem besten Weg sind, eine demokratische Kultur des engagierten Selbstbewußtseins gegenüber der Obrigkeit herauszubilden, zu der wohl auch politische Informiertheit und Toleranz gehören müßten.

Wer in puncto demokratische Kultur weniger optimistischer ist, dem lieferte diese Sendung reichlich Anschauungsmaterial. Offenbar meint das ZDF, seinem mündigen Publikum selbst am Verfassungstag eine politische Diskussion mit Liedchen von Peter Horton und anderen Mätzchen schmackhaft machen zu müssen. Offenbar merken es unsere Politiker nicht einmal, wenn sie sich bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit im Fernsehen produzieren wie bei Elefantenrunden in Wahlkämpfen. Sowohl die beiden Moderatoren als auch die drei ausländischen Gäste hatten sichtliche Mühe, sich gegen die vorlaute Selbstverständlichkeit zu behaupten, mit der die vier verdienten Parteiproporzionäre ihre Standpunkte und Divergenzen feilboten. Und schließlich: Offenbar geht es bei der diesjährigen Inflation an Gedenktagen und Jubiläen nicht mehr ohne eine ebnso inflationäre Verwendung von schwarz-rot -goldenem Lametta im Studio, das mittlerweile seine demokratische Signifikanz verloren hat und zum nationalistischen Symbol verkommen ist, zumal auch die NPD und die „Republikaner“ ihr „Herz für Deutschland“ mit diesen Fraben umkränzen.

Mich läßt das alles zweifeln, ob wir wirklich Grund zum Feiern haben.

Horst Pöttker