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Republikgeschichte als Revue

■ Zur Weizsäcker-Rede, die keine programmatische war

KOMMENTARE

Wer hohe Erwartungen weckt, muß sich eine hohe Meßlatte gefallen lassen. Die gestrige Rede des wiedergewählten Bundespräsidenten Weizsäcker, hat diese Meßlatte bei weitem verfehlt. Wenn ein Mann wie Weizsäcker, der für sich in Anspruch nimmt, durch seine Reden politisch gestaltenden Einfluß zu nehmen, im Voraus ausstreuen läßt, er werde zum 40. Jahrestag des Grundgesetzes eine programmatische Rede halten, muß man ihn auch an diesem Anspruch messen. Verglichen mit seiner Stellungnahme am 8. Mai 1985, ist das, was uns der Liebling der bundesdeutschen Massen zu bieten hatte über weite Strecken schlicht banal. Deskriptiv, mit einem leicht patriachalischen Unterton werden 40 Jahre Republik Revue passiert. Der Präsident blickt zurück, und was er sieht ist gut gelungen. Wir haben keinen Grund zur Selbstzufriedenheit, aber auch keinen Grund, „uns selbst zu verleugnen“.

Erich Kuby hat Weizsäcker kürzlich als Propagandisten für ein „vernünftiges Nationalgefühl“, als gefährliches Paradox also, beschrieben. Mit seiner gestrigen Rede hat Weizsäcker ihn bestätigt. Zwar versucht sich der erste Mann im Staate an einer definitorischen Trennung von Nationalismus und Patriotismus, doch kommt auch sein Patriotismus im Gewande des „wir sind wieder wer“ daher. Zwar keine Großmacht, aber auch kein Spielball für die Interessen anderer. Es ist dieser fatale Zungenschlag mit der Betohnung deutscher Interessen, der die gegenwärtige westliche Auseinandersetzung über die adäquate Reaktion auf Gorbatschow so unangenehm macht. Deutsch-nationales wird zum salonfähigen Argument gegen die zweifellos katastrophale Politik der US-Administration. Da wo die Rede tatsächlich einen programatischen Charakter hat, schürt sie genau die falschen Emotionen.

Weizsäcker bekennt sich zu Europa so wie dies alle bundesdeutschen politischen Großkopfeten tun und plädiert, notgedrungen, für eine politische Aufwertung der Europäischen Union. Allein: „Soll alles Nationale europäisch wegharmonisiert werden?“ Eine Frage, die man vor allem als Deutscher nur mit voller Überzeugung mit ja beantworten kann, gerät Weiszäcker zur peinlichen Widerlegung seiner vorangegangenen Bemühungen, Patriotismus und Nationalismus zu trennen. „Davon darf und wird keine Rede sein. Je mehr übernationale Entscheidungen notwendig sind, um so wichtiger ist die Verwurzelung zu Hause“. Dazu paßt sein Aufruf zur Stärkung des Wehrwillens durch Unterstützung der Bundeswehr: So „atemberaubend der Prozeß“ in der Sowjetunion auch ist, „wir brauchen Bündnis und Bundeswehr“.

Der politische Weiszäcker ist ein nationaler Präsident. Darüber können auch seine Hinweise auf weltweite Problemstellungen und das bedrohliche Nord-Süd Gefälle nicht hinwegtäuschen. Weizsäckers Antworten erschöpfen sich allzu schnell in der Feststellung, wir säßen alle in einem Boot. Das gilt auch an die innenpolitischen Adressaten. Die Demokratiedefizite des Grundgesetzes werden mit keinem Wort erwähnt. Die 68er-Proteste gelten ihm nach wie vor als Angriff auf den Staat, obwohl erst die Studentenbewegung demokratische Spielräume gegen den autoritären Adenauer -Staat durchgesetzt hat. Trotz aller Beteuerungen scheint auch Weiszäcker die Angst vor dem Volk längst nicht überwunden zu haben.

Jürgen Gottschlich

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