piwik no script img

Italiens Radikale als Kuckuckseier

Mit Kandidaturen auf fremden Listen sucht Pannellas Truppe die Parteien „aufzuweichen“ / Schon gelungen: die Spaltung der Umweltschützer  ■  Aus Rom Werner Raith

Pannella hier, Pannella dort ... Italiens „unberechenbarster aller Unberechenbaren“ (L'Espresso) hat es wieder einmal geschafft: ziemlich ratlos stehen die Parteien vor den Aktivitäten, mit denen der notorische Springteufel nahezu sämtliche politische Fronten durcheinandergewirbelt hat. Auf nicht weniger als vier Listen hat er seine engsten Gefolgsleute plaziert - und dies, wo die Radikale Partei selbst überhaupt nicht für die Europawahl kandidiert. Sozialdemokraten zum Beispiel „beherbergen“ Giovanni Negri, einige Jahre Radikalen-Vorsitzender von Pannellas Gnaden: eine zusammen mit Mitgliedern der Democratia Proletaria aufgestellte „Regenbogenliste“ wird vom ehemaligen Fraktionschef Rutelli angeführt. Auf einer „Antiprohibitionsliste“ sind Radikale gar zuhauf vertreten, und der große Zampano Pannella selbst hat sich auf die Vereinigte Liste der Liberalen und Republikaner gesetzt.

Wehe dem allerdings, der angesichts der Unterschlupf -Tendenzen von einem „Ende der Radikalen Idee“ spricht: nie war sie, so Pannella, so lebendig wie heute, seit ihrer Gründung 1956 (da spaltete sich die Partei von den Liberalen ab): „Nicht wir lösen uns auf“, rief der Meister von der Kanzel des eben in Rimini beendeten Parteitags seinen Gläubigen zu, „sondern wir lösen die anderen auf.“

Nach dem spektakulären „transnationalen Kongreß“ in Budapest vorigen Monat hat die unvermittelt einberufene Versammlung in Rimini das in Ungarn von Pannella vorgegebene Ziel, den anderen Parteien die Show zu stehlen, zumindest partiell erreicht: die Republikaner müssen sich Pannellas Umarmungen erwehren, und die Sozialisten, seit Samstag zur eher mühsamen Zelebration ihres eigenen Parteitags in Mailand versammelt, haben sich mit Pannellas Vorwurf des „Verrats an einer möglichen Alternative zu den Christdemokraten“ auseinanderzusetzen. Ohne Ausnahme: sämtliche von Pannella und seinen Leuten heimgesuchten Partei-Listen sind in heillose Unordnung, die jeweilige Basis in katastrophale Unsicherheit geraten, und die Radikalen haben wieder einmal kostenlose Publicity. So erklärte die FIAT-Mitbesitzerin Susanna Agnelli Staatssekretärin im Außenministerium und seit eh und je Mitglied der industrienahen Republikanischen Partei - ihren „absoluten Dissens“ zur Kandidatur des Bürgerschrecks Pannella auf der Vereinigten Liste der Liberalen und der Republikaner. Gestandene Sozialdemokraten wiederum sind verwirrt, weil zum Beispiel Giovanni Negri seinen Wahlkampf mit scharfen Angriffen auf den Richterstand des Landes führt, während gleich neben ihm einer aus dieser Gruppe kandidiert, der Minister Enrico Ferri.

Am schlimmsten, jedenfalls was die mögliche Schädigung beim Wahlgang angeht, dürfte es die Grünen treffen. Mit heroischer Anstrengung haben zwar die Parlamentsfraktion und der Koordinationsrat der Bewegung jeglicher radikaler Infiltration widerstanden - aber nur zu dem Preis, daß mit der neuen ökologischen „Regenbogenliste“ Rutellis ein beträchtlicher Teil des von den Demoskopen ausgemachten „Ambientalisten-Reservoirs“ von sieben bis zehn Prozent an die Konkurrenz gehen dürfte. Und das könnte nicht nur zur numerischen Schwächung der Umweltschützer beitragen - manch einer, wie der Grünen-Fraktionsgeschäftsführer Sergio Andreis, sieht die größen Probleme „erst nachher kommen“: unvergessen ist ihm noch das ausgiebige Techtelmechtel der Radikalen mit dem Sozialisten Craxis: „Ganz und gar nicht ausgeschlossen“, so Andreis, „daß das Ganze nur ein neues Manöver des alten Fuchses Pannella ist, den kleinen Parteien Stimmen abzujagen - um sie dann, nach den Wahlen, als Mitgift in eine neue Allianz mit Craxi einzubringen.“

Eine Unterstellung, auf die Pannella bisher noch keine ganz überzeugende Antwort gefunden hat.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen