: Talsperren versauern
Waldforscher stellte „Fallstudie Harz“ vor / Der schwermetallverseuchte Trinkwasserstausee droht ■ Aus Seesen Jürgen Voges
Ohne eine drastische Reduzierung der Luftschadstoffe werden im Harz in absehbarer Zeit nach dem Boden auch die Bäche und Flüsse nur noch Säure enthalten. Die Trinkwasserreservoirs in den Talsperren werden sich in saure, schwermetallverseuchte Seen verwandeln. Zu diesem vorläufigen Schluß kommt die von vier Wissenschaftlergruppen durchgeführte „Fallstudie Harz“, deren Zwischenbericht gestern der weltbekannte Waldforscher Berhard Ulrich in dem Harzkurort Seesen vorstellte. In der nach Aussage von Professor Ulrich „für die Verhältnisse in Mitteleuropa repräsentativen Fallstudie“ untersuchen Bodenkundler, Geologen, Biologen und Landschaftsökologen seit drei Jahren die Auswirkungen des sauren Regens auf das Sickerwasser im Waldboden und die Bäche und Seen des Harzes. In Bächen und Quellen werde in dem untersuchten Gebiet in der Umgebung der Großen Söse bereits eine Säure vom pH-Wert 4 gemessen. Im Sickerwasserleiter und in den Bächen würden durch die Versauerung Schmermetalle mobilisiert und lagerten sich weiter unterhalb wieder ab.
Ziel der Fallstudie Harz war es unter anderem, genau zu berechnen, wann der sich seit hundert Jahren ständig steigernde Säureeintrag die Pufferkapazität der Böden und Bäche erschöpf hat und die Versauerung in die Gewässer durchschlägt.
Ein Beispiel: In den Sedimenten der Talsperre des Flüßchens Söse lagern sich schon seit 20 bis 30 Jahren Schwermetalle ab. Wann nun diese und damit auch die anderen Talsperren zu einem versauerten, schwermetallhaltigen Gewässer umkippen, vermochte auch Professor Ulrich nicht zu sagen. Über diesen kritischen Zeitpunkt könne man erst in ein bis zwei Jahren beim endgültigen Abschluß des Projekts Aussagen machen. Schon jetzt steht allerdings fest, daß in den versauerten Bächen und Flüssen zahlreiche Tierarten nicht mehr anzutreffen sind.
Der Göttinger Waldforscher sah allerdings immer noch Chancen, den Wettlauf um die Wiederherstellung beziehungsweise den Erhalt des Waldes und des Trinkwassers zu gewinnen. Dazu müsse allerdings jetzt wirklich gehandelt werden, sagte Professor Ulrich in Seesen. Was dies bedeutet: Die heutigen Emissionen an Schwefel- und Stickoxiden müßten um 80 bis 90 Prozent reduziert werden.
Um die Versauerung zu verlangsamen, müsse man dem Waldboden außerdem basische Gesteinsmehle zuführen. Selbst wenn allerdings durch diese Maßnahmen die Zufuhr von Säure gestoppt würde, bedeute dies nicht, daß über die Gewässer unten keine Säure mehr herauskomme. „Auch dann sind noch zwei bis drei Jahrzehnte nötig, um den jetzigen Zustand zu stabilisieren“, sagte Berhard Ulrich. Es werde mindestens fünfzig bis hundert Jahre dauern, bis auf den jetzt versauerten Flächen wieder produktive Wälder stünden
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