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Gullit, van Basten, Gullit, van Basten: 4:0

Der AC Mailand gewinnt mit rauschendem Fußball den Europacup gegen Steaua Bukarest  ■  Aus Barcelona Werner Kuhn

Nach über 50 Jahren beherrschten wieder die Farben Schwarz und Rot das Stadtbild Barcelonas. Nur verkündeten sie diesmal nicht die Stärke der spanischen Anarchisten, sondern die Forza der italienischen Tifosi.

Im Endspiel des Europacups der Landesmeister standen sich im Nou Camp der AC Mailand und Steaua Bukarest gegenüber. Steaua, der Stolz der rumänischen Armee mit seiner Teamgeistphilosophie und für seine Disziplin gefürchtet, ist inzwischen kein Unbekannter mehr. Die Hälfte der Spieler sind Nationalspieler. Vor drei Jahren Europacupsieger, seit drei Jahren ohne Niederlage in der rumänischen Liga, wird Steaua wahrscheinlich dieses Jahr zum dritten Mal hintereinander Meister und Pokalsieger.

Die Bilanz des AC Mailand nimmt sich dagegen eher bescheiden aus: ein dritter Tabellenplatz in dieser Saison, 13 Punkte hinter dem Lokalrivalen Inter. Doch ist Italien nicht Rumänien - und trotz dieser Neunmalgescheiten, die da immer sagen, im Fußball sei alles möglich, war von vornherein jedem klar, daß die Italiener gewinnen würden.

Warum? Der AC Mailand hat Fans, die diesen Namen noch verdienen. Die Fans wollten den Sieg und haben einmal mehr bewiesen, daß man alles erreichen kann, wenn man nur will. Sie haben eine Niederlage einfach ausgeschlossen.

80.000 hatten sich auf den Weg nach Barcelona gemacht, um ihre Mannschaft zu unterstützen. Die italienische Zeitung 'La Repubblica‘ sprach gar von einem „Exodus biblischen Ausmaßes“ und meinte, daß man keinen Vergleich mit Moses Wanderung aus Ägypten zu scheuen brauche. Hatte der Herr seinerzeit, in jener Nacht, von Mose und Aaron gefordert: „Macht Euch auf und ziehet aus“, ohne zu spezifizieren, wie, so kamen sie jetzt per Bahn, Flugzeug, Schiff, vor allem aber in endlosen Pkw- und Buskarawanen. Und hatte es damals noch geheißen: „Nehmt auch mit Euch Eure Schafe und Rinder“, so wurde diesmal eher Schwein mitgenommen, wenn auch in Form von Mortadella und Schinken auf belegten Broten.

Die Rumänen hatten das Schwein zu Hause gelassen. Dafür ließ Ceausescu einen seiner Söhne samt Ehefrau mitfahren. Gerüchteweise hört man, daß der rumänische Verband das ihm zustehende Kontingent von 25.000 Karten über eine belgische Agentur wieder an die Italiener verscherbelt hat, und so ist die Expedition dann auf 250 Leute zusammengeschrumpelt. Ein polit-ökonomisches Meisterstück: Das bringt Devisen und verhindert die Entstehung von Asylantentum.

Die 750 Journalisten hatten keine Probleme, ins Stadion zu kommen, doch für die 10.000 Italiener, die draußen bleiben mußten, weil das Fassungsvermögen des Stadions aus Sicherheitsgründen von 120.000 auf 97.000 reduziert worden war, sah es mau aus: Als feststand, daß das Spiel wegen des Streiks der Fernsehleute in Spanien nicht zu sehen sein würde, stiegen die Schwarzmarktpreise von 400 auf über 1.000 Mark.

Drinnen: ein Hexenkessel. Schon lange vor Spielbeginn Sprechchöre, Luftballons, Klatschen, Fahnen, Gesänge. Als auf den riesigen Bildschirmen des Stadions die Konterfeis der elf Gladiatoren erscheinen, versteht man sein eigenes Wort nicht mehr. Das rhythmische Hüpfen von 70.000 Italienern läßt das Nou Camp buchstäblich in seinen Grundfesten erzittern. Acht Minuten vor Spielbeginn der Wahnsinn: die zwei Mannschaften laufen aufs Feld. Feuer, Böller, Raserei.

Der Spielverlauf läßt sich in drei Worten zusammenfassen: Mailand, Mailand, Mailand.

Hundertprozentiges Heimspiel

Steaua hat Anstoß. Einem der Spieler rutscht der Ball ins Aus. Riesenbeifall. Die Tifosi bescheren ihrer Mannschaft ein hundertprozentiges Heimspiel. Die Rumänen versuchen in den ersten Minuten, nur den Ball zu halten, Zeit zu gewinnen, um sich von dem Schreck zu erholen. Erst in der 10. Minute kommt Steaua zum ersten Mal in die Nähe des Mailänder Strafraums. Herr Tritschler aus Freiburg sieht Herrn Gullit aus Mailand in dieser Zeit öfter im Abseits, aber in der 18. Minute ist es dann soweit. Gewühl vor Lungs Tor, Abpraller, Gullit ist da, 1:0.

Mailand läßt den Gegner kein Spiel aufbauen, nimmt ihm sofort in seiner eigenen Hälfte den Ball ab und greift wieder an. Nur Hagi, der rumänische Maradona, läßt manchmal sein Können aufblitzen. Die Minute 28: Tassotti wurstelt sich rechts durch, flankt, van Basten mit dem Kopf - 2:0. Minute 38: Gerade hat sich van Basten am Spielfeldrand andere Schuhe angezogen, da ist Gullit schon wieder völlig frei am Strafraum, kann sich den Ball noch zurechtlegen, zieht ab, 3:0.

Damit war die Sache gegessen, und man konnte auf eine ruhigere zweite Halbzeit rechnen, doch kaum ist diese zwei Minuten alt, schickt Rijkaard aus halbrechter Position van Basten in den Strafraum, und der haut das Leder flach rechts in die Ecke. Auch jetzt von Abschlaffen keine Rede, die Fans lassen das einfach nicht zu. In der 60. Minute darf Gullit vom Platz, damit ihm die Fans noch mal ganz persönlich ihre Ovationen bringen. Virdis wird eingewechselt und macht 20 Sekunden später fast ein Tor. Das Aufmarschieren der Polizei kündigt schließlich das nahe Spielende an. Und noch nicht mal ein Ehrentor für die Rumänen. Nein, sie hatten, wie gesagt, kein Schwein.

Nach dem Süden (Neapel) hat jetzt auch der italienische Norden sein Europa-Soll erfüllt. Wahrscheinlich hätten das Mannschaft und Fans auch alleine geschafft, da hätte es der Gebete des vatikanischen Staatssekretäs Casaroli, der ja ein scharfer Mailand-Fan sein soll, gar nicht bedurft. Voller Stolz werden die 80.000 jetzt wieder heimkehren. Jedenfalls hat von denen bisher noch keiner hier um Asyl gebeten.

Reizvoller Supercup

Ist damit das Europa-Spektakel zu Ende? Nicht ganz. Schon wird über den Supercup geredet, wenn der AC Mailand und der FC Barcelona aufeinandertreffen werden. Auch das hat seinen Reiz, denn Mailand hat spätestens seit dem grandiosen 5:0 -Sieg im Halbfinale über Real Madrid, den Erzfeind jedes Katalanen, alle Sympathien der Barceloneser auf seiner Seite. Die Knallkörper und Leuchtraketen, die während der Direktübertragung dieses Spiels bei jedem der fünf Tore in den Nachthimmel über Barcelona stiegen, waren nicht etwa das Werk der italienischen Kolonie hier, sondern das der „Cules“, der Fans des FC Barcelona. Der Club-Präsident Josep Luis Nunez hat nach eigenem Bekunden in diesen 90 Minuten fünfmal seine Frau Maria Luisa geküßt.

Wie weggeblasen war auf einmal der Alptraum, der die Barca -Fans bis dahin bedrückt hatte. Der Supergau wäre gewesen: Real Madrid eliminiert Mailand und gewinnt mit dem abtrünnigen Schuster gegen genau dieses Steaua Bukarest, gegen das vor drei Jahren, auch im Endspiel, Barca schmählich im Elfmeterschießen unterging. Und wo hätte sich diese Schande abgespielt? Auf dem geheiligten Rasen des heimatlichen Nou Camp. Aber dieser Kelch, dem Herrn sei's gelobet, ist dank Gullit, van Basten und Konsorten noch einmal an Katalonien vorbeigegangen.

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