piwik no script img

„Kunststoff ist der ökologische Werkstoff schlechthin“

■ Halbzeitbilanz beim Kunststoff-Recycling-Test der TU / Nur 600 Kilo Plastikflaschen in drei Monaten gesammelt / Flaschen oft nicht gekennzeichnet / Kritiker: „Alibi-Projekt“ der Verpackungsindustrie / Umweltbundesamt: Bürger sollen „zähneknirschend“ mitmachen /

Urban Stricker ist sich sicher: „Kunststoff ist der ökologische Werkstoff schlechthin.“ Plastefreund Stricker ist Diplom-Ingenieur und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Kunststofftechnikum der Technischen Universität (TU). Heute wird sich der Ingenieur wieder bemühen, „die positiven Elemente von Kunststoff“ einer breiteren Öffentlichkeit nahezubringen: Der Berliner Kunststoff-Recycling-Test lädt zum Tag der Offenen Tür in die Räume des TU-Instituts in der Kaiserin-Augusta-Allee 5 in Tiergarten ein.

Die TU-Wissenschaftler rühmen sich, europaweit „am intensivsten“ über Plastik-Recycling zu forschen. Der Recycling-Test, der jetzt seit Ende Februar läuft, ist der vorläufige Höhepunkt in den Anstrengungen des Kunststoff -Technikums, aus gebrauchtem Plastik mehr zu machen „als nur Parkbänke“. Zusammen mit der BSR und den Berliner Einzelhandelsketten sammelt die TU leere Plastikflaschen aus Polyethylen (PE), einem relativ harmlosen Kunststoff, der nur aus Wasser- und Kohlenstoff besteht - im Gegensatz etwa zu PVC, zu dessen Bestandteilen Chlor gehört. Leere Behälter von Flüssigwaschmitteln, Weichspülern und Spülmitteln sowie Farbeimer werden auf zwölf Recycling-Höfen von der Berliner Stadtreinigung (BSR) entgegengenommen. Ziel der TU -Wissenschaftler: Sie wollen Erfahrungen mit der Plastik -Sammelei gewinnen und eine Anlage entwickeln, die möglichst wirtschaftlich arbeitet und aus den alten Plasten hochwertige Kunststoffe zurückgewinnt. Der Clou des Versuchs: Die Waschmittel- und Farbreste sollen genutzt werden, um dem „Recyclat“ positive, neue Eigenschaften zu verleihen. Daß die Forscher die Spül- und Waschmittelbehälter gewählt haben, liegt an ihrem Mindestgewicht von 130 Gramm. Da lohnt sich das Sammeln eher als bei Joghurt-Bechern. Gerade Joghurt-Becher sind den Recycling-Experten von TU und BSR in schlechter Erinnerung. Ein Recycling-Kurzversuch 1986 in Reinickendorf scheiterte, weil die Reinickendorfer alles mögliche zur BSR trugen, von Margarineschüsseln bis zu Quarkbechern, bloß keine Joghurt -Töpfchen. Nur ein Drittel des gesammelten, für Recycler völlig unverdaulichen Kunststoffgemisches bestand aus dem gewünschten Material Polystyrol. Die Forscher haben aus dieser Schlappe gelernt. Der jetzt laufende Recycling-Test setzt auf eine Kennzeichnung der Plasteflaschen. Die Berliner Einzelhändler versehen die Behälter mit runden, weißen Aufklebern - so war es „eigentlich vereinbart“ (Stricker). Denn häufig fehlen die Kleber, weil den gestreßten Angestellten in den Supermärkten die Zeit fehlt. „Was nicht direkt umsatzfördernd ist, wird oft nicht gemacht“, klagt der Kunststoff-Techniker. Folge dieser und anderer Unzulänglichkeiten: In den ersten drei Monaten sind ganze 600 Kilogramm Plastemüll eingegangen. 10 bis 70 Tonnen wollten die TU-Forscher im Verlauf der sechs Monate sammeln. Stricker läßt sich davon nicht entmutigen. Immerhin seien allein in den letzten zwei Wochen 500 Kilo abgeliefert worden - das Ergebnis der jetzt erst richtig angelaufenen Werbekampagne.

Für die Kritiker dagegen sind derartige Mängel nur weitere Beweise für die Fragwürdigkeit des ganzen Projekts. Das Institut für ökologisches Recycling (Ifö R) stößt sich daran, daß die Verpackungsindustrie selbst an dem Projekt beteiligt ist, das für sie nur eine „Alibi-Funktion“ habe. Der Industrie-Verein AGVU (Arbeitsgemeinschaft Verpackung und Umwelt) trägt das Forschungsvorhaben mit 750.000 Mark zur Hälfte, die andere Hälfte zahlt das Bundesforschungsministerium. Bei Großflaschen wären Mehrweg -Systeme besser als Recycling, findet die Ifö R -Bildungsreferentin Michaela Moser, ganz abgesehen davon, daß Weichspüler unnötig und Flüssigwaschmittel auch nicht viel besser als Waschpulver seien.

Stricker („Wir sind noch am Anfang des Kunststoffzeitalters“) glaubt dagegen, daß die Einwegflasche aus Plastik letztlich sogar der Wegwerfflasche aus Glas den ökologischen Rang ablaufen kann. Die Energiebilanz bei Plastikherstellung und -recycling sei einfach günstiger. Hans-Jürgen Öls, der im Umweltbundesamt Fachbetreuer für das TU-Projekt ist, bleibt da skeptischer: Er betont eher die Gefahr, daß Plastikflaschen die Mehrwegglasflaschen verdrängen. Oels kann die Kritiker verstehen. Denn „justament“ (Oels), als das Projekt startete, kam die wiederbefüllbare Waschmittelflasche auf den Markt - eine ökologischere Alternative zum Recycling. Weil Oels jedoch auf die Recycling-Anlage der TU-Forscher gespannt ist, findet er es „sinnvoll, wenn auch der umweltbewußte Bürger zähneknirschend seine Plastikflaschen vorbeibringt“.

hmt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen