: Überfall in San Salvador
■ Vor einem Monat stürmten Militärs und Polizei das Büro des „Christlichen Komitees für die kriegsvertriebenen El Salvadors“ (CRIPDES) Thomas Gebauer, Mitarbeiter der bundesdeutschen Hilfsorganisation „medico international“, hat den Überfall miterlebt
„El Salvador wird das Grab der Roten sein“, heißt es in der ersten Strophe der Hymne von Arena, der Partei, die ab 1. Juni das mittelamerikanische Land regieren wird. Und noch bevor am kommenden Donnerstag der steinreiche und Pharmagroßhändler Alfredo Cristiani in den Präsidentenpalast einziehen wird, fordern seine Parteianhänger, die Armee und die Oligarchie, daß den Worten Taten folgen. Im März hatte die rechtsextreme Arena mit 18 Prozent der Stimmen aller wahlberechtigten Bürger - die Mehrheit war dem Urnengang ferngeblieben - die Wahlen gewonnen. Im April begann der Angriff auf die unabhängigen Gewerkschaften, auf Frauenorganisationen, Arbeitslosenkomitees, Mütterverbände und all die anderen Selbstorganisationen der Bevölkerung.
Entgegengesetzte Ziele
Reina Isabel Hernandez, deren Büro sich in dem kleinen Haus am Ende der 23. Straße in San Salvador befindet, ist die Anspannung deutlich anzumerken. Jedesmal, wenn von draußen Geräusche hereindringen, sieht sie nervös zur Tür. Anders ihre Stimme: ruhig, überlegt und ohne jede Spur von Resignation erzählt sie von den Aufgaben des „Christlichen Komitees für die Kriegsvertriebenen El Salvadors“ (CRIPDES), dessen Vorsitzende sie ist.
Mit großem Engagement kümmern sich die CRIPDES-Mitarbeiter um jene über 500.000 Salvadorianer, die in den vergangenen Jahren durch Flächenbombardements in die Flucht getrieben wurden und heute von Regierung und Armee das Recht einklagen, in ihre Heimatgebiete zurückkehren zu dürfen. Das Geld, das für den Wiederaufbau zerstörter Dörfer erforderlich ist, besorgt CRIPDES im Ausland. Zumeist sind es Spenden kirchlicher Kreise, aber auch Zuschüsse von Hilfsorganisationen wie etwa „medico international“ aus Frankfurt.
Es verwundert nicht, daß CRIPDES immer wieder in Konflikt mit den Streitkräften gerät. Denn während die Organisation die Rücksiedler unterstützt, wo es nur geht, setzen die Militärs bei der Bekämpfung der 12.000 Mann starken Befreiungsbewegung FMLN noch immer auf die strategische Entvölkerung ganzer Landstriche, um die Guerilleros zu isolieren. Mit der Armee im Widerspruch zu stehen aber bedeutet in El Salvador höchste Gefahr. Schnell tauchen die Namen unliebsamer Personen auf den Listen der Todesschwadronen auf, immer wieder „verschwinden“ Menschen.
Nach Angaben des gewerkschaftlichen Dachverbandes UNTS sind seit Ende März mehr als 190 Menschen den mörderischen Aktivitäten der Todesschwadronen zum Opfer gefallen. Längst nicht mehr verschwinden „nur“ jene, die sich politisch hervorgetan haben - auch „einfache“ Mitglieder von Selbsthilfegruppen und AktivistInnen aus dem Sozialbereich sind bedroht.
Am hellichten Tag und vor ihrer Schule wurde am 5. April die Lehrerin Maria Cristina Gomez in einen silbergrauen Cherokee-Jeep mit abgedunkelten Scheiben gezerrt. Nur 35 Minuten später war sie tot. An einer Bushaltestelle hatte man sie aus dem Fahrzeug geworfen und vor den Augen der wartenden Menschen mit vier Schüssen ermordet.
Der Überfall
Isabel Hernandez hat mich in den Innenhof des CRIPDES-Büros geführt, wo sich auf eng zusammenstehenden Liegen etwa 30 vor allem ältere Männer, Frauen und Kinder aufhalten. Viele krank und unterernährt, Kriegsverletzte mit amputierten Gliedmaßen, eine Frau kurz vor der Entbindung, stillende Mütter: Menschen, denen nirgendwo sonst eine medizinische Betreuung zuteil geworden ist und die hier Zuflucht gesucht haben. Die kleinen selbstverwalteten Apotheken, die es in den Rücksiedlungsdörfern gibt, werden von durchziehenden Soldaten regelmäßig ausgeraubt. Die CRIPDES-Präsidentin verweist gerade auf die Bedeutung der Unterstützung aus dem Ausland, als unser Gespräch jäh unterbrochen wird.
„Soldaten kommen“, schreit jemand, und da sind sie auch schon vor den Fenstern: schwerbewaffnete Polizisten in Kampfanzügen und die gefürchteten Soldaten der 1. Infanteriebrigade. Über 500 Mann, die blitzschnell das Haus umstellen und grinsend drohen, uns alle umzubringen. Die Leuten von CRIPDES reagieren sofort: rasch verstellen sie mit Schreibtischen und anderen verfügbaren Gegenständen die Zugänge, während andere abwechselnd mit einem Megaphon an die nationale und internationale Presse appellieren. Ein ohrenbetäubender Lärm, der die Soldaten vorübergehend auf die Straße zurücktreibt, vor allem aber dafür sorgt, daß bereits kurze Zeit später die Öffentlichkeit hergestellt ist. Journalisten, Kameraleute und die Vertreter der Menschenrechtsorganisationen treffen ein und verlangen, zum umstellten Gebäude vorgelassen zu werden. Die Antwort kommt per Schlagstockeinsatz über einen Lautsprecherwagen, den nun auch die Polizei auffahren läßt. Stolz verkündet eine markige Stimme von lateinamerikanischen Rhythmen untermalt'daß dies eine Aktion der Polizei sei: „Das Volk ist des Terrorismus müde - Vorwärts mit El Salvador.“
Sechs Stunden dauert die Belagerung, die kein Richter angeordnet hat, sechs Stunden, die sich zu einem Krieg der Lautsprecher entwickeln. Sechs Stunden der Unsicherheit für die 60 Eingeschlossenen, die dennoch nie Panik zeigen. Trotz der schwarz gefärbten Rambo-Visagen, die mit eindeutiger Drohgebärde immer wieder vor den Fenstern auftauchen.
Die Frauen sorgen sich um das Essen, verteilen aufgewärmte Tortillas und Wasser. Die Kranken und Kriegsverletzten haben sich in einen fensterlosen Raum zurückgezogen. Jemand kocht Kaffee. Eine widersinnig anmutende Normalität. Viele Eingeschlossene haben bereits eine Routine entwickelt, die es ihnen erlaubt, den Gedanken des solidarischen Miteinander gegen die private Angst zu verteidigen.
Nachdem die Nacht hereingebrochen ist, ergeht der Befehl zur Stürmung. Die Fenster und Türen werden eingebrochen und schon stehen die Soldaten im kleinen Vorraum, in dem wir uns versammelt haben. Gewehr im Anschlag fordern sie uns auf, nacheinander das Gebäude zu verlassen. Doch niemand bewegt sich. Alle wissen, daß niemand allein gehen darf, daß niemand ausgesondert werden darf, andernfalls geht man das Risiko ein, einfach zu „verschwinden“ und irgendwo als verstümmelte Leiche wieder aufzutauchen. Gemeinsam werden wir auf die Pritsche eines Lkws verladen und durch die Nacht abtransportiert.
Der Überfall auf das Flüchtlingskomitee CRIPDES blieb nicht der einzige am vergangenen 19. April. Mit dem Haus eines Gewerkschaftsverbandes, wo gerade eine Frauengruppe tagte, und der „Vereinigung der Arbeitslosen El Salvadors“ wurden zwei weitere Einrichtungen gestürmt. Für 76 Personen endete dieser Tag in einer Polizeikaserne.
Nachbereitung
Ich sollte mich nicht als festgenommen betrachten, erklärte mir dort mit ausgesuchter Freundlichkeit der leitende Polizeioberst. Die Arbeit von Journalisten werde man selbstverständlich respektieren. (Nachdem während der Wahlen drei Kollegen von Militärs erschossen worden waren.) Absichtsvoll telefonierte er in meinem Beisein mit dem Vertreter des „Internationalen Komitees des Roten Kreuzes“ (IKRK): „Wir haben hier 20 Leute, Mütter mit Säuglingen, schwangere Frauen und Kinder, es wäre schön, wenn sie die gleich abholten. - Nein, nicht erst morgen, jetzt sofort. Als Ausdruck unserer menschlichen Haltung.“ - Zur selben Stunde nahmen in den Zellen nebenan die professionellen Folterer ihre Arbeit auf. Von schwersten Schlägen und Vergewaltigungen, von der „Kapuze“, einer präparierten Plastiktüte, die über den Kopf gezogen wird und Erstickungsanfälle erzeugt, und von dem gesamten Repertoire der psychischen Folter berichteten später jene Personen, aus denen in den 72 Stunden der Polizeihaft die absurdesten, aber weitreichende „Geständnisse“ herausgepreßt worden waren. Isabel Hernandez und fünf weitere Mitarbeiter von CRIPDES sowie zwei Mitarbeiterinnen einer gewerkschaftlichen Frauenorganisation befinden sich seitdem in Geiselhaft. Denn ob sie jemals im Rahmen ordentlicher Gerichtsverhandlungen angeklagt werden, ist zweifelhaft. Die salvadorianische Justiz zählt zu den unterentwickeltsten und zugleich korruptesten Sektoren des Landes, das alljährlich zwischen 50 und 70 Millionen Mark Entwicklungshilfe aus der Bundesrepublik erhält.
Für den Wiederaufbau der zerstörten Einrichtungen des Flüchtlingskomitees CRIPDES und für die Installierung einer landesweiten medizinischen Notversorgungsstruktur ist Hilfe erforderlich. Spenden können eingezahlt werden auf das medico-Konto 1800 bei der Frankfurter Sparkasse (BLZ 500 501 02). Unterschriftenlisten zum „Stop der Entwicklungshilfe für El Salvador“ sowie Aktionsmaterialien sind zu beziehen über medico international, Obermainanlage 7, 6000 Frankfurt.
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