: In den USA haben sich alte Positionen verhärtet
Interview mit dem SPD-Bundestagsabgeordneten Horst Ehmke zum Nato-Streit über atomare Kurzstreckenwaffen ■ I N T E R V I E W
taz: Herr Ehmke, Sie kommen gerade aus den USA zurück. Wie erklären Sie sich den konfrontativen Kurs der USA? Warum erklärt die Bush-Administration die Kurzstreckenwaffen de facto als nicht verhandelbar?
Ehmke: Ich glaube, daß es da zwei Elemente gibt. Zum einen wird die Debatte um die Fortentwicklung der Strategie der „Flexiblen Antwort“ zu einer Strategie der „Gemeinsamen Sicherheit“ von der Bundesregierung nicht geführt, weil sich die Koalition in dieser Frage völlig uneinig ist. Sie hat zwar ein Gesamtkonzept angekündigt, aber vorgelegt hat sie nichts.
Weil die Bundesregierung keine brauchbaren Vorschläge auf den Tisch legen konnte, hat sich nun alles in Manövern und Taktik erschöpft. Die Amerikaner haben gefragt: Nun sagt doch mal, was Ihr wollt, darauf war die Antwort: Das können wir noch nicht, wir sind in der Koalition noch nicht einig. Erst auf Initiative von Herrn Genscher hat man sich schließlich geeinigt. Der bleibende Eindruck von meinem Besuch in Washington ist: Die sind so sauer auf Bonn, wie schon lange nicht mehr. Das hat sich inzwischen auch psychologisch verklemmt. Die Bundesregierung hat es also faktisch fertiggebracht, die amerikanische Administration und seinen Präsidenten auf alte Vorstellungen festzulegen.
Aber es sind die USA, die bis heute ganz kategorisch Nein sagen zu Verhandlungen.
Das liegt daran, daß die Hauptdebatte über die Voraussetzungen zu einer Stabilität in Europa nicht geführt worden ist. Die Nato hat immer gesagt: Zum Ausgleich für die konventionelle Überlegenheit des Ostens brauchen wir taktische Atomwaffen mit Kriegsführungsoptionen. Das war ein großer Fehler. In den USA teilen viele unsere Meinung, daß man diese Waffen nicht braucht und sich die Nato von einer Strategie verabschieden muß, die nicht nur den Ersteinsatz, sondern sogar den frühen Ersteinsatz von Atomwaffen vorsieht.
Aber doch nicht in der Bush-Administration. Gerade die amerikanische Administration hat offenbar ein sehr großes Interesse an diesen Atomwaffen mit Kriegsführungsoptionen in Europa.
Das ist richtig. Aber ich sage, daß die Bundesregierung durch ihr dilettantisches Vorgehen und durch den Mangel an grundsätzlichen Positionen eher dazu beigetragen hat, die amerikanischen Auffassungen in diesen Fragen zu verhärten, statt sie nach vorne zu bringen. Jetzt gibt es doch die Chance, die konventionelle Überlegenheit der UdSSR wegzuverhandeln. Wir wollen, daß gleichzeitig über atomare Waffen verhandelt wird und wir am Ende dann konventionelle Stabilität haben und dann diese taktischen Atomwaffen auf beiden Seiten rausnehmen. Die UdSSR hat ja gerade bei diesen Kurzstreckenwaffen eine große Überlegenheit. Wer in dieser Situation sagt: Wir verhandeln nicht, muß sich fragen lassen, ob er auf den sowjetischen Standard hochrüsten möchte.
Noch einmal: Sehen Sie dafür die Ansatzpunkte auch in der Bush-Administration? Diese scheint einen konfrontativen Kurs wie zu Beginn der Reagan-Ära zu verfolgen.
Ja natürlich, die alten Auffassungen haben im Augenblick in den USA die Oberhand gewonnen. Doch es gibt in der Bush -Administration auch neue Elemente. Bush hat in seiner Texas -Rede gesagt: Wir beurteilen das, was Gorbatschow macht, positiv. Er hat in der Administration andere zurückgewiesen, die das Gegenteil verlautbart haben. Und er hat gesagt, daß zum erstenmal ein Punkt erreicht sei, wo der Westen gegenüber der Sojwetunion über die Politik der Eindämmung hinausgehen könnte. Das ist ein großer Schritt nach vorn.
Zurück zum jetzigen Raketenstreit: An welchen Punkten haben sich die Amerikaner durchgesetzt?
Der Streit im Bündnis wird in die Koalition zurückschlagen. Ich bin nämlich überhaupt nicht sicher, daß die Koalition insgesamt zu einer Position finden wird. Was Herr Stoltenberg aus den USA zurückgebracht hat, will hier wohl keiner. Ich kann mir also gut vorstellen, daß auf dem Gipfel keine Einigung zustande kommt. Und das ist immer noch besser als eine schlechte Einigung.
In der Führungsspitze der Partei wurde ja diskutiert, ob die SPD in einer Bundestagsdebatte von der Bundesregierung nicht verlangen soll, daß sie auf dem Gipfel ein förmliches Veto gegen die Modernisierung einlegt. Warum ist daraus nichts geworden?
Das hätte die Koalition einfach abgelehnt.
Gewiß, die meisten Anträge der SPD werden abgelehnt.
Es hatte keinen Zweck, nur um Aktivität zu machen, einen solchen einzubringen. Wir haben ja beantragt, daß sich die Bundesregierung auf keinen Fall binden darf, ehe nicht der Bundestag entschieden hat. Das wurde abgelehnt.
Die Nato soll ja auch mit luftgestützten Atomraketen ausgestattet werden, die das INF-Abkommen unterlaufen und einen Ersatz für die Pershing II wären. Dazu hört man von der SPD wenig.
Wir wollen, daß keine Kompensationen erfolgen. Das würde natürlich auch eine entsprechende Antwort der UdSSR herausfordern. Die Wiener Verhandlungen haben gut und zügig begonnen, das ist das übereinstimmende Urteil von uns und der amerikanischen Administration. Wir wollen erst die Ergebnisse abwarten und diesen Prozeß jetzt nicht durch neue Aufrüstung stören.
Aber Sie wissen auch, daß für dieses neue Aufrüstungsprogramm Gelder im Pentagon-Haushalt bewilligt sind.
Das wissen wir. Aber wir wissen auch, daß am Ende nicht stationiert wird, ohne daß die Bundesregierung sagt, ob sie diese neuen Waffen auf ihrem Boden haben will oder nicht.
Die SPD würde also auf diesem Nato-Gipfel ein formelles Veto einlegen?
Ja, wir würden sagen: Wir stationieren nicht. Kommt die SPD an die Regierung, und so sieht es aus, werden wir keinem Modernisierungsbeschluß zustimmen.
Zu den konventionellen Verhandlungen in Wien: Wann könnte denn überhaupt ein Teilabkommen vereinbart werden?
Das ist schwer zu sagen. Wenn man den groben Fehler macht und sagt, man beginnt mit den Verhandlungen über taktische Atomwaffen überhaupt nicht, bevor nicht in Wien ein Ergebnis erreicht und, wie die Amerikaner sagen, „implementiert“ worden ist, dann ist ganz klar: Dieser Zeitpunkt wird nicht vor 1992 erreicht. Das heißt, man müßte dann die Stationierungsentscheidung, die die Amerikaner haben wollen, treffen, bevor Verhandlungen begonnen haben. Das ist für uns unannehmbar.
Die USA haben in der Nato als die hegemoniale Macht ja immer ihre Interessen durchgesetzt. Das würde sich dann ändern?
Es geht darum, auch die Amerikaner zu gewinnen, und schließlich auch die Briten. Diese Aufgabe hätte seit Jahren angefaßt werden müssen. Wir würden das zu einem Schwerpunkt machen und in ruhigen und sachlichen Gesprächen klären, wie man unter veränderten Bedingungen die Interessen der Nato -Partner wieder auf eine Linie bringen kann.
Wenn die SPD regiert, könnte es ja sein, daß die USA ihre Truppen teilweise abziehen. Und dann?
Wir gehen davon aus, daß die Amerikaner aus eigenem Interesse hier sind und daß sich das mit unserem Interesse deckt: Die Anwesenheit amerikanischer Truppen in Berlin und in der BRD ist die eigentliche Ankoppelung Europas an die USA, nicht irgendwelche Nuklearvorrichtungen. Über den Umfang der US-Truppen muß man reden. Wenn die UdSSR zu einem großen Abbau ihrer konventionellen Streitkräfte bereit ist, wird der Tag kommen, wo ein Teil der US-Truppen abgezogen wird. Aber ein vollständiger Abzug ist sicherlich nicht im deutschen Interesse.
Interview: Ursel Sieber
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