China: Säuberung von Platz und Partei

Parteichef Zhao Zhiyang wird Verrat von Staatsgeheimnissen an Gorbatschow und Unterstützung konterrevolutionärer Institutionen vorgeworfen / Widerstand auf dem Platz des Himmlischen Friedens bröckelt ab / Volksbefreiungsarmee geschlossen hinter Li Peng  ■  Von Blume und Reichenbach

Hongkong/Peking (taz) - Eine Säuberungswelle spülte gestern nicht nur die Massen von den 40 Hektar Himmlischen Friedens im Zentrum Pekings, sondern auch durch die Reihen der Reformpolitiker. Nur noch 10.000 Studenten harren zwischen Glasscherben und Plastikflaschen den himmelschreienden hygienischen Verhältnissen. In Peking stellte sich auch die letzte der sieben Militärregionen Volksrepublik offiziell hinter den Ministerpräsidenten Li Peng und damit hinter den Ausnahmezustand. Die Hoffnung auf Reform weicht der Angst. „Nothing left!“ singen chinesische Studenten auf dem Platz im Zentrum Pekings.

Von allen Seiten verdichteten sich gestern die Berichte über den Sturz des Generalsekretärs der Kommunistischen Partei Chinas, dem Reformer Zhao Ziyang. Gemeinsam mit sechs politischen Freunden ist er offensichtlich inzwischen von der Hardliner-Fraktion der KPCh um Altfürst Deng Xiaoping und Regierungschef Li Peng unter Hausarrest gestellt worden. Zwei weitere reformorientierte Politbüromitglieder ebenso wie der Verteidigungsminister und der Vorsitzende des Ständigen Komitees des chinesischen Volkskongresses habe, wie am Donnerstag abend chinesische Medien in Honkong berichteten, das gleiche Schicksal ereilt.

Unfehlbares Indiz dafür, wer in Peking zur Zeit die Oberhand behält, waren erneut die chinesischen Abendnachrichten im Staatsfernsehen. Die Botschaft von Regierungschef Li Peng, der zufolge die Armee in Zukunft größere Initiative zeigen werde, um das Kriegsrecht in der%% Fortsetzung auf Seite 2

Siehe auch weiterer Bericht S.7 und Gastkommentar S.8

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Hauptstadt durchzusetzen, wurde ausführlich erläutert. Im Fernsehen sagte der Nachrichtensprecher, werden Soldaten nun „über ihre Aufgaben unter dem Kriegsrecht unterrichtet“ um später dann „das Volk erziehen zu können“.

Noch wissen die Einwohner Pekings nicht, zu welchen Tugenden sie diese Volkserziehung bewegen soll. Derweil erscheint es möglich, daß die KPCh noch an diesem Wochenende öffentlich ihren Vorschlag zur Krisenbereinigung vorstellt. Dann nämlich, wenn das Zentralkomitee der Partei zusammengerufen wird,

um die wichtigen Personalentscheidungen im Politbüro und an der Staatsspitze abzusegnen, die zweifellos in diesen Tagen stattfinden. Selbst dann aber weiß man nicht, ob Deng Xiaoping, dem scheinbar wieder alle Macht im Lande zufließt, in dieser Situation zu seinem Volk sprechen wird. Bisher jedenfalls hat ihm sein Schweigen nur genutzt. Die Studentenproteste konzentrierten sich in den vergangenen Tagen auf den Regierungschef, Li Peng.

Dem Generalsekretär der Partei, Zhao Ziyang, wurden indessen von Regierungsseite Verbrechen zugeschrieben, für die es im Code der Parteiorthodoxen kaum Vergebung gibt. Er habe Staatsgeheimnisse an Gorbatschow verraten, er habe kon

terrevolutionären Institutionen Unterstützung gewährt und er habe Unterwanderung in der Volksbefreiungsarmee betrieben und persönlich aus seiner Macht Profit geschlagen. Sein eigentliches Verbrechen, daß er es nämlich gewagt habe, Deng Xiaoping in der Studentenfrage zu widersprechen, wurde freilich nicht genannt.

Während dessen trafen in Hongkong neue Berichte von Demonstrationen in der chinesischen Provinz ein. In den Städten Shanghai, Nangking, Wuhan, Changsha, Cheng Du und Xian sei es zu umfangreichen Protestaktionen gekommen. Nach wie vor gibt es aber auch Teile Chinas, die nicht vom Protestfieber erfaßt sind, insbesondere der Norden

und Osten des Landes.

In vielen Städten gaben die Behörden Anweisung an die Bahndirektionen, Studentengruppen nicht mehr nach Peking zu befördern, so daß die Studenten dazu übergingen, die Züge regelrecht zu stürmen oder sich auf die Gleise zu legen, um die Mitfahrt auch ohne Fahrkarte zu erzwingen. Die Regierung hat angekündigt, dagegen mit aller Härte vorzugehen. An den Unis haben die Komitees Mühe, die große Zahl auswärtiger Studenten unterzubringen, in vielen der 14 Quadratmeter großen Wohnheimzimmer übernachten über zehn Personen.

An der Pekinger Uni sind Karikaturen aufgetaucht, die Li Peng in Gestapo-Uniform zeigen. Die Studen

ten diskutieren heftig über die weiteren Schritte. Ein Aufruf empfiehlt der Bevölkerung, alle Sparguthaben von den Banken abzuziehen und die Staatsanleihen, die jeder Bürger jährlich zwangsweise kaufen muß und die sich wie direkter Lohnabzug auswirken, zu boykottieren.%%