„Knight-Rider“ - kein Schoko-Riegel

Beim Symposium „Kinder und Medien“ wurden Sinnfragen gestellt / Welche Medienpädagogen verdient das Land?  ■  hier

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Das deutsche Fachpublikum sitzt im Glashaus wie in einem Badezimmer: Niemand werfe das erste Handtuch. Der zweite Tag des Bremer Symposiums „Kinder und Medien in Europa“ (vgl. taz 27.5.), veranstaltet von Rundfunkausschuß, Landesbildstelle und Uni-Institut, ist der Tag der bundesdeutschen Medienkinder und der Zusammenfassung. Halten wir fest: Es gibt Kinder (wo?), es gibt Medien (da!), und es gibt Fachleute, die mit ihren Fächern Wind machen. Dieses Mal im Komparativ. Nun kann keine red

lich reflektierende Person mehr hören, daß Kinder zuviel Fernsehkucken und daß uns in einer nahen Zukunft lauter verrohte, verfaulte und verdorbene Gestalten erwarten. Das weiß die Medienpädagogik und drängt als milder Schiedsrichter auf's öffentlichkeitswirksame Feld. Das Fernsehen soll kein Teufel mehr sein, sondern bloß noch ein bißchen hinken. Karl W. Bauer, Literatur-und Medienwissenschaftler aus Essen, lehnt in seinem Vortrag denn auch die „Ignoranz“ der „wissenden Erwachsenen ab“ und sieht keine dramatische Zunahme kindlichen Fernsehverhaltens. Im übrigen ist die Forschung der 60er Jahre überholt, wonach das Kind „unter Aufsicht ihm gemäße Sendungen sehen“ durfte. Wer hätte das gedacht? Heinz Hengst, Bremer

Medienwissenschaftler, faßt für alle „holzschnittartig“ alles zusammen. Roberto Farne, der Medienpädagoge aus Bologna, habe festgestellt, daß in Italien das Fernsehverhalten durch „Passivierung und Verhäuslichung“ gekennzeichnet sei und setze seltsamerweise auf die Schule als Heilmittlerin. Cecilia von Feilitzen, schwedische Medienforscherin und Ausnahme von den Regelmännern, (von ihr stammt die einzige Langzeituntersuchung über Kinder und Fernsehen, die sich in 25 Jahren intensiv mit echten Kindern befaßt hat), habe eine ähnliche Vision wie Herr Bauer. Was greift theoretisch nicht mehr? „Verbreitete Kolonisierung, Verdrängung und Substituierung“. Was greift praktisch? „Ausdifferenzierung und Balancierung von nichtmedialen und

medialen Aktivitäten“. Der italienische Kollege versucht, sich und das italienische Schulsystem zu rehabilitieren und beißt bei Herrn Hengst auf Zitronen. Der Moderator, Uwe Parpart, ist eigentlich Vorsitzender des Programmausschusses des mitveranstaltenden Bremer Rundfunkausschusses. Er hat nach eigenen Angaben bei Herrn Hengst studiert und läßt der Podiumsdiskussion freien Lauf. Obwohl niemand mit einem Störfall gerechnet hat, erhebt sich im Publikum ein Sektierer und sieht Blutströme fließen vom Bildschirm direkt in den Schlachthof (sic!). Das verbittet man sich.

Mehrere Pädagogen fassen Mut und wollen keine Sündenböcke sein. Gäbe es nicht auch Erwachsene und Fernsehen? Das Problem stecke dahinter; man

wolle keine „Maschinenstür mer“. Das Podium ist entrüstet. Die Schwedin als einzige erinnert sich an die Kinder, die viel mehr über die Probleme der Gesellschaft wüßten als ihre Erwachsenen. „Wir könnten viel von ihnen lernen, wenn wir wollten“. Karl Bauer möchte durchschaubar gemachte Illusionen und daß der Ausschuß so weiter macht.

Wie Kinder Mediendurchschauen gelernt haben sollen, erfährt man auf den Abendveranstaltungen. Ein Filmemacher alias Sozialpädagoge hat unterprivilegierte Grauzonenkinder im „sozialen und urbanen Kontext“ besucht und sie einen Videofilm drehen lassen. Thema: Wenn Außerirdische in Tenever notlanden müßten. Ein sozialpädagogischer Filmemacher ist ein guter Mensch ist ein guter Mensch ist

ein ... und dreht anschließend eine doppelt so lange Dokumentation über sein Filmprojekt. Breite Kamera- schwenks über das große Grauganze gipfeln in der Erkenntnis, daß die Kinder etwas gelernt haben: leise und pünktlich zu sein.

Am zweiten Abend zeigt die Landesbildstelle Ausschnitte aus preisgekrönten Videokurs-Filmen von Schülern. Alle Fernsehthemen und -macharten sind wieder da. Die Jugendlichen stehen den Profis wenig nach.

Was haben wir gelernt? Daß jedes Land die Medienpädagogen hat, die es verdient. Daß es immer noch Erwachsene gibt, die bei „Knight-Rider“ an einen Schoko-riegel für den kleinen Hunger von Nachtschwärmern denken. Daß Kinder Fernsehkucken

-bloß wie? Claudia Kohlhas