Swinging Metropolis

■ 29. So ein trister Minister

Tonfilm & Musik, die beiden gehören zusammen wie Dotter & Eiweiß, zitieren im Kopfe die Bilder zum Klang, und die Zeit der dollsten Revuefilme ist nu mal jene, da dies bittere Reich überzuckert werden muß. Geklaut, klar, von den Amis, von A wie Astaire bis Z wie Ziegfeld, bisweilen unfreiwillig komische Abklatscherei (so sehr Frau Röcks Röcke wehen mögen, stapft sie doch als provinzielle B-Version einer Eleanor Powell durch Babelsberg) - aber auch Freiraum so manch kaschierten Protestes. Immer wieder wird mißliebig heiße Musik eingeschmuggelt mit durchaus nicht unfrechen Texten: Narrenfrechheit genaugenommen. Das Zauberwort lautet „Dramaturgische Notwendigkeit“.

„Solche Schlager, denen immer eine dramaturgische Notwendigkeit zugrunde liegt, sind darum keineswegs bloße 'Einlagen‘, sondern ein organisch verbundener Bestandteil der Handlung“, sagt Theo Mackeben und belegt es in „Es war eine rauschende Ballnacht“. Kontrapunktiert durch den bösen Blick ihres Gatten darf Zarah Leander nicht eben ehe- & familiengläubig „Nur nicht aus Liebe weinen“ vom Stapel lassen. Lassen wir die Weimarer Republik mal draußen, so wurzelt besagter Freiraum zum Teil in der Distanzierung gegenüber dem Kaiserreich. „Der Dünkel der Herren des Dritten Reiches will den 'befreiten‘ Menschen gegen die angeblich verbiesterte Prüderie der Jahrhundertwende ausgespielt sehen. Und diese Interpretation ist dem Spieltrieb der Komödianten höchst willkommen“, schreibt der vielzitierte Maurus Pacher (Sehn Sie, das war Berlin, Ullstein) über diesen Tanz auf dem Vulkan.

Der Film gleichen Titels bietet 1938 gleich ein Beispiel nach Noten. Wohl meint der linientreue Spielleiter Hans Steinhoff durch die Ansiedlung der Story im 1830er Paris räumlich & zeitlich aus dem Schneider zu sein. Aber immerhin: Hauptdarsteller Gustaf Gründgens - umstritten einerseits, andererseits zweifelsfrei Retter „nichtarischen“ Lebens - wird vom Kinobesucher gleichgesetzt mit der Figur des Revolutionärs Debureau und seinem Ohrwurm „Die Nacht ist nicht allein zum schlafen da“ von Mackeben & Otto Ernst Hesse (dessentwegen O.E. Hasse seine Vornamen abkürzt). Die letzte Strophe birgt Dynamit: „Wenn der Morgen endlich graut / hinter dunklen Scheiben, / und die Männer ohne Braut / beieinander bleiben, / schmieden sie im Flüsterton / aus Gesprächen Bomben. / Rebellion, Rebellion / in den Katakomben.“ Das darf er singen, da ist Göring vor. Dessen Lieblingsfeind Goebbels gelingt es allerdings, zu verhindern, daß diese Hymne des Aufstandes auf Platte erscheint.

In einem anderen Falle bleibt ihm nur verdrießliches Weghören: „Hände hoch, wir schießen / auf die, die uns verdrießen, / auf die, die schlecht gelaunt sind, / auf die, die gleich erstaunt sind, / wenn irgendwas geschieht, / was so ein trister / Minister / angeblich nicht gern sieht!“ Die Verse gelangen zum Vortrag in einem der aufwendigsten, bemerkenswertesten LeinwandSpektakula der Nazizeit, „Es leuchten die Sterne“. Busby Berkeleys choreographischer Extremismus ist hier dreist kopiert, Kurzauftritte von 36 Stars motzen die Show auf. Und Goebbels dürfte tatsächlich momentan recht trist zumute sein, hatte ihm der Chef doch soeben befohlen, sich von seiner aktuellen Freundin, der tschechischen Schauspielerin Lida Baarova, zu trennen.

Um die Ecke würgt ihm Willi Forst im Jahr darauf noch einen rein. Nach Maupassants Novelle dreht er „Bel ami“, die Geschichte eines Glücksritters, der es bis zum Minister bringt und als solcher seine Amouren verabschieden muß. (In totalitären Zeiten ist das Publikum sensibel für dergleichen Anspielungen.) Den Evergreen in spe erfinden Mackeben, mal wieder & Fritz Beckmann, eingespieltes Team für Filmmusiken, nachdem Mackebens Stammtexter Felix Joachimson 1934 emigrierte. Ein weiterer Hit der beiden heißt „So oder so ist das Leben“ aus dem FantasyFilm „Liebe, Tod und Teufel“. Die Szenerie der Südseekneipe sowie der Duktus des Songs, unnachahmlich interpretiert von Brigitte „Backenknoche“ Horney gemahnt fatal an Brecht/Weill.

Ebenso wie Hans „Hoppla“ Albers‘ „Good Bye, Jonny“, Text ebenfalls von Beckmann, Musik diesmal von good old Peter Kreuder. Das Lied wird zweimal verbogen werden: nach Kriegsbeginn muß - dem Sprachrhythmus zum Trotze - „Leb wohl, Peter“ gesungen werden, und nachdem dann glücklich alles zu Kleinholz geworden, borgt sich Hanns Eisler die ersten RefrainTakte für „Auferstanden aus Ruinen“, die Nationalhymne der DDR. Den Film selbst könnte man für ein typisches NS-Abenteuer halten: heroischer Einzelgänger im Kanada des Jahres 1905 wird fälschlich als Saboteur verdächtigt und opfert sein Leben dem Dienst an der Gemeinschaft. In Wahrheit handelt es sich um eine Art sozialistisches U-Boot. (Kannste mal sehen, wie sich die formalen Unfüglichkeiten gleichen!) Der Autor George Turner heißt Hans Jose Rehfisch, war von 1931 bis 1933 Präsident des Verbandes Deutscher Bühnenautoren und wurde als Antifaschist nach dem Reichstagsbrand verhaftet. Wieder entlassen, floh er über Wien nach London, wo er bis heute lebt.

Norbert Tefelski