Wasserscheue Wasserfreunde

Spiellust als Geheimnis des Erfolgs der Wasserballer von Spandau 04 / Zaghaft ist nur das Berliner Publikum  ■  Aus Spandau Daniela Hutsch

„Faules Gesindel“, beschimpft Trainer Uwe Gaßmann seine Schützlinge, die sich zu Trainingszwecken nur sehr zögerlich ins vierundzwanzig Grad kalte Wasser begeben. Etwas wasserscheu scheinen sie zu sein, die Wasserfreunde Spandau 04. Der Trainer schubst jeden einzeln über die Beckenkante und treibt die Drückeberger aus den Ecken des Beckens: „Los, los, bewegt euch!“.

Doch das Bild ändert sich schlagartig, als Bälle in die Reichweite der Verspielten geraten, jetzt kann der Bewegungsdrang der fünfundneunzig-Kilo-Kerle auch von den kleinen Hüftpölsterchen nicht mehr gebremst werden; die sind übrigens keineswegs vom vielen Siege-Feiern, versichert Center-Spieler Hagen Stamm, sondern notwendiger Wärmeschutz gegen die Kälte des Wassers (aber so kalt ist es doch gar nicht?).

Mit atemberaubender Geschwindigkeit zerfurchen sie nun das Wasser, den Ball immer dicht vor der Nase. Natürlich hat jeder Spieler seinen Lieblingsball, den er auf keinen Fall gewillt ist abzuspielen, und Trainer Gaßmann wütet weiter am Beckenrand: „Das ist ja wie im Kindergarten hier!“.

Eines haben sie alle gemeinsam: Grenzenlose Spiellust, die Hagen Stamm für die Ursache allen Erfolgs hält. Darüberhinaus seien auch das gute Verhältnis der Spieler untereinander, gute Trainer und, man höre und staune, die ausgezeichnete Nachwuchsarbeit, für die Erfolge mitverantwortlich. Und wirklich, die Bilanz kann sich sehen lassen: Zehnmal sind sie bereits Deutscher Meister geworden, das elfte Mal haben sie schon jetzt in der Tasche, obwohl noch zwei Spiele ausstehen. Zweimal haben sie den Meistertitel ohne Punktverlust errungen, die „dritte Nullösung“ steht bevor. Eine nicht geringe Anzahl von Pokalen haben sie gegen eine frustrierte Konkurrenz gewonnen, und ein Ende ist immer noch nicht abzusehen.

Dafür allerdings trainieren die Wasserfreunde dreimal wöchentlich morgens eineinhalb Stunden und drei- bis viermal pro Woche abends zwei Stunden, am Wochenende finden die Spiele statt. Was kann es im Leben eines Wasserballers denn auch Schöneres geben als eben Wasserball?

Doch finanzieren können sie sich durch ihren Sport nicht. Der Verein wird zwar vom Senat und Sponsoren unterstützt, aber für den einzelnen Spieler bleibt davon nichts übrig. Für einige bietet sich zwar die Möglichkeit, im Ausland in den Profi-Sport einzusteigen, doch Hagen Stamm lehnte derartige Angebote bisher ab. Seit nunmehr elf Jahren wirft er für Spandau 04 seine Tore.

Während Trainer Gaßmann seine Jungs Spielzüge üben läßt, läuft am Beckenrand eine dubiose, ganz in Schwarz gehüllte Gestalt auf und ab, fahneschwenkend und schrille Pfiffe ausstoßend. Nicht nur die Spieler, sondern auch die Schiedsrichter müssen sich fit halten, erklärt Uwe Gaßmann die Erscheinung, und so besuchen sie das Training der Spieler zu eigenen Trainingszwecken.

Auch wenn die Schiedsrichter vor jedem Spiel die Fingernägel der Spieler auf ihre Länge überprüfen, so bleiben doch Verletzungen bei diesem Sport nicht aus, und was bisweilen unter der Wasseroberfläche vor sich geht, kann der laienhafte Beobachter nur ahnen. Schon so manches Trommelfell hielt dem Schlag des Gegners nicht stand, wie auch der meistgefoulte Spieler von Spandau 04, Hagen Stamm, zu berichten weiß. Zweimal hatte er sein Trommelfell schon opfern müssen, und längere Unterwasser-Aufenthalte werden ihm des öfteren abgezwungen.

Wassertreten mit Gips

Doch was ein richtiger Wasserballer ist, den kann auch ein Gipsarm nicht vom Training abhalten: Man hülle ihn einfach, wie Nationalspieler Andreas Ehrl, dem die Wucht eines Balles kürzlich den Daumen brach'in eine Plastiktüte, und übe sich im „Wassertreten“.

Doch Gewalttätigkeiten werden nicht nur dem Gegner überlassen, man trainiert sie für den Ernstfall gleich mit. Zaghaftigkeit ist auch im Training nicht gefragt. Nur das Publikum ist hierzulande etwas zaghaft, und besonders das Berliner Publikum hält Hagen Stamm für „sehr sportverwöhnt“. „Die kommen nur, wenn die Chance besteht, daß wir verlieren“. Und die besteht eben doch recht selten.

Derweil in der einen Hälfte der Schwimmhalle große gelbe Bälle von schweren Männern mit einer maximalen Geschwindigkeit von sage und schreibe einhundertzwanzig Stundenkilometern in die Netze geschleudert werden, üben sich in der anderen Hälfte graziöse Mädchen zu sanfter Musik im Wasserbalett. In der Schwimmhalle am Sachsendamm jedenfalls ist die Welt noch in Ordnung.