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China-betr.: "Was ist los in China?", taz vom 26.5.89

betr.: „Was ist los in China?“, taz vom 26.5.89

Ich traue meinen Augen nicht: Es gibt sie also doch noch, die absoluten die-hards. Und ich dachte, sie seien nach dem Ende der „Kulturrevolution“ alle zu Bhagwan oder nach Albanien gegangen; zumindest sah man sie nicht mehr samstags am U-Bahnhof Turmstraße rumstehen und hopelessly die ArbeiterInnenklasse mit ihren Flugblättern nerven, während die doch nur massenhaft Wurst einkaufte. (...)

Man muß Ilius unterstellen, daß er nicht einmal die China -Berichterstattung der taz verfolgt hat, die die letzten Ereignisse in Peking sehr gut wiedergibt.

1. Zunächst ist die „Volkserhebung“ in China kein Aufstand der ArbeiterInnenklasse, wie Ilius behauptet. Vielmehr geht die Bewegung von den StudentInnen aus, mit denen sich, nachdem sich ihr SchriftstellerInnen, LehrerInnen, WissenschaftlerInnen angeschlossen haben, mittlerweile mehr und mehr Teile der Bevölkerung solidarisieren, was wir alle sehr begrüßen. Es vollzieht sich ja erstmals seit 1949 eine echte Massenbewegung in China.

2. Die Ziele dieser Bewegung sind nicht identisch mit denen, wie sie Ilius formuliert. Er gibt die Ziele seiner Organisation als die der DemonstrantInnen vom Tiananmen aus, was nichts weiter ist als wishful thinking. Jedoch richtet sich „die Erhebung des chinesischen Volkes“ keineswegs „objektiv gegen die Auswirkungen der Restauration des Kapitalismus, sie richtet sich höchstens dagegen, daß die chinesische Führungsspitze es trotz aller wirtschaftlichen Liberalisierung (die zugegebenermaßen auch zu großen Fehlschlägen geführt hat) eine Demokratisierung der gesellschaftlichen Strukturen mit aller Macht verhindern will. Was die Menschen in China fordern, ist Presse- und Redefreiheit, die Einführung eines Rechtssystems und die Abschaffung der Behördenwillkür und Kader-Vettern -wirtschaft, nicht „eine neue marxistisch-leninistische Partei“.

3. Wer heute noch für die Rückkehr der „Kulturrevolution“ eintritt, zeigt, daß er a) aus der Geschichte nichts gelernt hat und b) nie mit einer Chinesin geredet hat. Was waren denn die „Errungenschaften der Kulturrevolution“, von denen Illius schwärmt? Es gibt heute in China keine Familie, die nicht in irgendeiner Form unter dem Wahnsinn der Kulturrevolution gelitten hätte, sei es, daß sie eine/n oder mehrere Tote zu beklagen hat oder daß sie im Rahmen der Landverschickung auseinandergerissen wurde. Millionen saßen in den Knästen und Konzentrationslagern oder wurden mit Berufsverbot belegt. Es gab eine rigide Gesellschaftshierarchie, die Menschen je nach ihrer Abstammung in HeldInnen oder stinkende Elemente einteilte; Sippenhaft wurde bis aufs letzte Kleinkind praktiziert. Die Bürokratie wurde nicht, wie Ilius schreibt, einer „eisernen Kontrolle“ unterzogen, sie übte sie aus.

Kein Mensch in China will eine Wiederherstellung dieser finsteren Verhältnisse; nicht umsonst werden dort immer wieder Vergleiche mit der Nazizeit formuliert. Diese Zustände werden in der Tat mit der „revolutionären Sache“ Mao Zedongs identifiziert, und darum wundert es nicht, daß man sein Bild auf dem Platz des Himmlischen Friedens übersprüht hat.

Ruth Keen, Köln

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