„Kein Rückzug ohne zwingenden Grund“

Trotz des massiven Drucks der Regierung wollen die Pekinger Studenten weiter für demokratische Rechte kämpfen  ■ I N T E R V I E W

Guo Fang (Name geändert), ist in der Studentenorganisation an der Peking-Uni zuständig für die Betreuung von Journalisten und auswärtigen Delegationen.

taz: Viele Stimmen sprechen von einer möglichen Beendigung des Sitzprotestes auf dem Tiananmen am Dienstag.

Guo Fang: Es gibt keinen derartigen offiziellen Beschluß. Diejenigen, die für den Abzug sind, führen den Gesundheitszustand vieler teilnehmender Studenten, die hygienische Situation auf dem Platz, die schwierige Versorgungslage mit Wasser und Lebensmitteln als Gründe an. Außerdem sind sie der Auffassung, daß angesichts der Totalverweigerung der Regierung nach all den Wochen eine Fortführung keinen politischen Nutzen mehr hat. Ohne einen formellen Beschluß wird der Sitzprotest aber auf kleinerer Basis fortgesetzt werden. Das Studentenkomitee der Beida ist gegen einen Abzug, weil die Besetzung für ganz China längst zum Symbol der Bewegung geworden ist. Skeptische oder pessimistische Menschen würden danach vollends aufgeben. Den auswärtigen Delegationen dient der Platz zudem als Anlaufstelle für Informationen, was nach Verhängung der Nachrichtensperre für die Verbreitung der Bewegung in der Provinz von großer Bedeutung ist. Aus politischen Gründen kommt daher in der gespannten Lage ein Rückzug ohne zwingenden Grund nicht in Frage.

Die gestrige Demonstration blieb im Vergleich zu Aktionen der Vorwoche kläglich klein, die Studenten blieben unter sich. Warum?

Zugegeben, die gestrige Demonstration war ziemlich unbedeutend. Die täglichen Großdemos haben sich in den Augen vieler erschöpft. Sie sehen keinen Sinn mehr darin, sich die Kehlen nach dem Rücktritt Li Pengs heiser zu schreien, und nichts passiert. Der Druck der Regierung auf die Bevölkerung ist auch sehr groß. Arbeitern, die trotz Verbot an den Aktionen teilnehmen, drohen Entlassungen oder Lohnkürzungen. Die mangelnde Teilnahme der Stadtbevölkerung an der gestrigen Demo zeigt daher keinen Verlust von Sympathie oder Unterstützung für die Studenten an.

Wie ist denn die Stimmung unter den Studenten der Peking -Universität?

Das Studentenkomitee tritt für ein Weiterkämpfen bis zum Ende ein. Diese Position wird auch von der Mehrheit der Studenten unterstützt. Ganz China schaut auf Peking, ganz Peking schaut auf die Peking-Uni. Statt schwächer zu werden hat die Regierung sich konsolidiert, und die Hardliner haben ihre Opponenten ausgeschaltet. Es ist nicht so einfach hinzunehmen, die Mütze „Konterrevolutionär“ aufgesetzt zu bekommen. Viele sind daher abgetaucht.

Wie beurteilt ihr die Niederlage von Zhao Ziyang?

Die inneren Kämpfe in der Führung sind sehr hart, und die Bewegung wird tatsächlich von den einzelnen Fraktionen für ihre Flügelkämpfe benutzt. Das ist nicht in unserem Interesse. Unsere Hauptaufgabe ist es auch nicht, Li Peng durch Zhao Ziyang zu ersetzen. Unsere Bewegung kämpft für eine Reform des politischen Systems, für die Demokratie, für Gewaltenteilung nach westlichem Vorbild. Die Konservativen haben sich diesmal noch durchsetzen können, aber das politische Bewußtsein und der demokratische Geist ist durch unsere Bewegung in ganz China gewachsen, und das ist langfristig entscheidend.

Wie soll es denn jetzt weitergehen?

Wir propagieren einen Hungerstreik ab Dienstag vor dem Regierungssitz, getragen von allen Schichten der Gesellschaft. Wenn wir das durchsetzen, kommt ein Ende des Sitzprotestes auf dem Tiananmen in Frage. Auch wenn Li Peng nicht zurücktritt, wird sich die Bewegung nicht selbst auflösen.

Besteht denn für die Studentenführer keine Gefahr?

Natürlich, eine Abrechnung wird es wahrscheinlich geben. Fast alle Universitäten in ganz China haben sich an den Protesten beteiligt, der Masse der Demonstranten droht also kaum ein Risiko. Aber die Organisatoren sind bedroht. Gerade deshalb dürfen wir jetzt nicht aufgeben, sondern müssen mit aller Kraft weiterkämpfen, damit das nicht passiert. Das Interview führte

Thomas Reichenbac