: Raus aus dem ADAC
Uns erreichen jede Menge Briefe, in denen LeserInnen ihren Austritt aus dem ADAC erklären. Hier ist einer von vielen:
Sehr geehrte Damen und Herren,
lang, lang ist's her, daß ich die Vorzüge Ihrer Organisation als Mitglied in Anspruch nahm. Ich gehörte zu denen, die die peinliche Parole „Freie Fahrt für freie Bürger“ nicht mittragen wollten und daher aus dem ADAC austraten.
Insofern ist mir die Möglichkeit genommen, anläßlich Ihrer derzeitigen Aktivitäten bezüglich der Geschwindigkeitsbegrenzung auf der Avus meine Mitgliedschaft demonstrativ aufzukündigen.
Sie sollen aber wissen, daß ich die offizielle Haltung des ADAC als unverantwortlich empfinde und mißbillige. Wäre ich nicht schon frühzeitig ausgetreten, ich würde diesen Schritt spätestens heute tun. Es ist bedauerlich, daß der ADAC auch nach vielen Jahren kein bißchen weiser geworden ist. Aber so ist das wohl eben in einer Nation, der die Freiheit des großen Zehs wichtiger ist als die Freiheit des Kopfes.
Ich bitte Sie herzlichst, Ihren großen Zeh zu entlasten, und einmal folgenden Aspekt zur freiwilligen Geschwindigkeitsbegrenzung zu durchdenken, der nichts mit dem Schutz unseres Grunewalds und nichts mit der Unfallgefahr auf unseren Autobahnen zu tun hat, sondern elementar die wirtschaftliche Not in vielen Teilen der Erde berührt: Es ist wohl jedem verständlich und unstrittig, daß Geschwindigkeit im Güter- und Personentransport demjenigen, der sie einzusetzen vermag, einen Vorteil gegenüber demjenigen bringt, der sie nicht einzusetzen vermag. Wer zum Beispiel seine Ernte mit einem Esel über steinige Pässe zum Markt transportieren muß, ist demjenigen hoffnungslos unterlegen, der seine Ernte mit dem LKW über die Autobahn abtransportieren kann und lebt somit in bitterster Armut. Wenn sich der Anbau von Getreide und Gemüse in solchen benachteiligten Gebieten nicht mehr lohnt, dann wird dort eben nichts mehr produziert. Im Extremfall liegt das Land brach, und die Menschen gehen ins wirtschaftliche Exil, wie wir inzwischen wissen.
Diese Erkenntnis ist aber kein Aha-Erlebnis in dem Sinne, daß hiermit die These „Geschwindigkeit gleich Wohlstand“ bestätigt wird. Das ist eben der Trugschluß unserer Tage.
Es kann nicht Abhilfe geschaffen werden, indem auch dort die Voraussetzungen für immer schnellere Verkehrs- und Transportsysteme geschaffen werden. Dies hieße Autobahnen in Afrika, Asien und Südamerika und die dazu gehörigen unvorstellbaren rasenden Automassen mit all ihren hier schon erkannten ökologischen Folgen. Man stelle sich nur vor: China und ein Verkehrssystem wie das unsere. Die Folgen für die Menschheit wären verheerend, zumal dann, wenn mit den Autos in schwachsinniger Weise zum reinen Vergnügen herumgefahren würde, frei und mit Bleifuß. Aber soweit wird es wohl nie kommen, weil schon die Rohstoffe für den Straßen - und Automobilbau und für die Tankfüllung nicht ausreichend verfügbar sein dürften. Die ungleiche Verteilung der Verfügung über Geschwindigkeit kann also nicht dadurch ausgeglichen werden, daß auch die Benachteiligten schneller werden, um konkurrenzfähig zu werden. Schon der Versuch einer derartigen Entwicklung führt in den Abgrund. Es wäre sozial und christlich, auf die Langsameren Rücksicht zu nehmen und ebenfalls etwas langsamer zu gehen (fahren). Es hat auch etwas mit Höflichkeit und Egoismus zu tun. Früher oder später geht die Menschheit ihrem Ende entgegen, und das sollten wir, verdammt nochmal, so langsam wie möglich tun. Oder sind die Mitglieder des ADAC schon so überdrüssig, daß es gar nicht schnell genug gehen kann? Wann endlich trägt ein gesellschaftlich so wichtiger Verein wie der ADAC bei zum Nachdenken über die großen Probleme unserer Zeit?
West-Berlin gehört selbst zu den benachteiligten (nach unseren Maßstäben) Regionen und lebt nur durch intensive Subventionspolitik der Bundesrepublik. Man beklagt hier den Zuzug von Wirtschaftsasylanten aus aller Welt. Wie wäre es, wenn Berlin seine Solidarität mit den Benachteiligten dieser Erde dadurch zum Ausdruck brächte, indem wir auf einer der ersten Rennstrecken dieser Erde, nämlich unserer Auto-, Verkehrs- und Uebungsstraße, kurz Avus, klaglos eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 100 km/k akzeptierten. Vielleicht denken Sie mal darüber nach?
Mit freundlichen Grüßen
K.H. Stieler, 1-37
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