„Lebenshilfe“ hofiert Tötungshelfer

Elternorganisation will über Lebensrecht Behinderter diskutieren / Ministerin Lehr Schirmherrin / Gegenaktionen geplant  ■  Aus Hamburg Udo Sierck

Vom 4. bis 8.Juni 1989 veranstaltet die „Lebenshilfe“, mit über 100.000 Mitgliedern die größte bundesdeutsche Elternvereinigung für geistig Behinderte, unter der Schirmherrschaft der Bundesfamilienministerin Lehr in Marburg das Symposium Biotechnik - Ethik - Geistige Behinderung. Die Überschrift klingt ebenso seriös wie nichtssagend; die Praxis sieht anders aus: Unter Ausschluß der Öffentlichkeit wollen international renommierte „Fachleute“ aus Medizin, Justiz und Pädagogik die Existenzberechtigung behinderter Menschen zur Diskussion stellen.

Zur inhaltlichen Bereicherung des Kongreßgeschehens lud die „Lebenshilfe“ Peter Singer ein, Professor für Philosophie und Direktor des „Centre for Human Bioethics“ im australischen Clayton. Singers Name steht für eine „praktische Ethik“, die in der Behindertenpädagogik Fuß zu fassen droht: Er vertritt die These von der Gleichheit von Tier und Mensch, der Mensch sei lediglich durch Selbstbewußtsein und Persönlichkeit hervorgehoben. Bei Personen ohne beides falle die Grenzziehung fort.

Folglich sei, so Singer in seinem Buch Praktische Ethik, die „Tötung eines behinderten Säuglings nicht gleichbedeutend mit der einer Person. Sehr oft ist sie überhaupt kein Unrecht.“ „Sofern der Tod eines geschädigten Säuglings zur Geburt eines anderen Kindes mit besseren Aussichten auf ein glückliches Leben führt, dann ist die Gesamtsumme des Glücks größer, wenn der behinderte Säugling getötet wird.“

Und auf dem internationalen Kongreß für Humangenetik in Berlin 1986 betonte Singer, daß „menschliche Keimzellen und Embryonen unbegrenzt verschwendet, benutzt, vernichtet und eigens für Forschungszwecke hergestellt werden dürfen; ältere Embryonen, da ihnen die Kriterien von Personalität und eines auf die Zukunft gerichteten Bewußtseins fehlen, schmerzlos getötet und für Experimente benutzt werden dürfen; sich Personalität und Selbstbewußtsein erst im ersten Lebensjahr und bei behinderten Kindern (z.B. Down -Syndrom) nur rudimentär oder gar nicht entwickeln, die Tötung solcher Kinder zulässig ist; auch die Tötung von Kranken, Unfallgeschädigten und alten Menschen zu vertreten ist.“

Nachdem Informationen über das geplante Symposium unterderhand an die Öffentlichkeit gelangten - entgegen ihrer üblichen Praxis, jede kleine Veranstaltung publik zu machen, informierte die „Lebenshilfe„-Zentrale über den Kongreß nur einen erlauchten Kreis -, zog das Familienministerium jetzt die Notbremse: Sie drängte auf Singers Ausladung, um einem öffentlichen Skandal vorzubeugen. Die „Lebenshilfe“ fügte sich, bleibt aber von der Richtigkeit ihres Handelns überzeugt. Daß dieses Verhalten der eigentliche Skandal ist, scheint den Verantwortlichen in der „Lebenshilfe“ nicht bewußt: Noch immer stehen Referate auf dem Programm wie „Sterbehilfe auch für neugeborene Behinderte?“, die das Lebensrecht Behinderter anzweifeln.

Bundesweit planen Krüppel- und Behinderteninitiativen sowie Gruppen und Personen, die sich mit den Entwicklungen in der Humangenetik, bei der Sterbehilfe oder Zwangssterilisation beschäftigen, Gegenaktionen zum Marburger Kongreß. Ein letztes Vorbereitungstreffen findet am 31.Mai in Hamburg statt. Ort: 20 Uhr, W3/Nernstweg 32.

Udo Sierck