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„Keine Dritte Nullösung“

Bush interpretiert die Brüsseler NATO-Einigung / Kurzstrecken-Kompromiss versucht jeder Seite gerecht zu werden / Erste positive Reaktionen aus Moskau  ■  Aus Brüssel Andreas Zumach

Mit bemerkenswerter Klarheit hat US-Präsident Bush zum Abschluß des Brüsseler Nato-Gipfels seine Interpretation des Raketen- Kompromisses zu Protokoll gegeben. Auf einer Pressekonferenz unmittelbar vor seinem abflug nach Bonn betonte er, daß ein vollständiger Abbau atomarer Kurzstreckenraketen in Europa von der Nato ausgeschlossen worden ist. Unter Verweis auf den Kommuniquetext sagte Bush: „Teilweise bedeutet teilweise und nicht Null“. Genau um diese Frage machten Kohl und Genscher in ihrer abschließenden Bewertung des Gipfels einen großen Bogen.

In der besonders umstrittenen Frage der atomaren Kurzstreckenraketen einigten sich die Außenminister in der Nacht auf Dienstag auf Kompromißformulierungen, die vor allen von Seiten der Bundesregierung wie der britischen Premierministerin Thatcher im Sinne ihrer bisherigen kontroversen Position interpretiert werden. Die USA haben sich mit ihrer grundsätzlichen Bereitschaft zu Verhandlungen Fortsetzung auf Seite 2

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über diese Waffensysteme der bundesdeutschen Position ein wenig angenähert. Das Gesamtkonzept sieht jetzt Verhandlungen nach Abschluß eines Vertrages bei den Wiener Verhandlungen über konventionelle Streitkräfte in Europa (VKSE) und ersten Schritten seiner Umsetzung vor. Bundeskanzler Kohl und Außenminister Genscher gaben der Hoffnung Ausdruck, daß eine Verhandlungsaufnahme im Sinne des Koalitionspapiers vom 27. April „bald“ erfolgt. Sie stützen diese Hoffnung auf die neuen Vorschläge und Zeitvorstellung von Präsident Bush für die VKSE, wonach ein Ver

trag in Wien binnen maximal zwölf Monaten abgeschlossen und bis spätestens 1992/93 vollständig umgesetzt werden soll. Frau Thatcher betonte dagegen die enormen Schwierigkeiten bis zu einem verifizierbaren Wiener Abkommen. Auch Militärexpertenin der Brüsseler NATO-Zentrale halten den Zeitrahmen des inzwischen von der NATO übernommenen Bush -Vorschlages für sehr unrealistisch. über die Frage der „Modernisierung“ der atomaren Lance Raketen soll im Lichte der sicherheitspolitischen Gesamtlage 1992 entschieden werden. Die Frage der taz'ob dieser Zeitpunkt nach hinten verschoben wird, falls in Wien bis 1992 kein Vertrag erzielt ist und entsprechend keine Verhandlungen über Kurzstreckensystenme

aufgenommen worden sind, beantworteten Kohl und Genscher nur ausweichend.

Während Genscher die Möglichkeit einer 3. Null-Lösung durch die Erwähnung des Kommuniques der NATO-Außenminister Tagung vom Juni 1987 im Gesamtkonzept gewährleistet sieht, schlossen Thatcher wie Bush diese Möglichkeit kategorisch aus.

Moskau (AP) Die Militärexperten der Sowjetunion unterziehen die Vorschläge von US-Präsident George Bush zu einem Truppenabbau in Europa einer sorgfältigen Prüfung. Die amtliche Nachrichtenagentur TASS zitierte den sowjetischen Generaloberst Nikolai Tscherwow, Mitglied des General

stabs, am Dienstag mit den Worten, die Vorschläge Bushs müßten eingehend analysiert werden.

„Wir erwarteten seit langem eine Antwort der Vereinigten Staaten auf die von der Sowjetunion und anderen sozialistischen Staaten vorgelegten Abrüstungsvorschläge“ sagte Tscherwow laut TASS. „Gewiß konnten die USA ihr Schweigen nicht auf unbestimmte Zeit verlängern“. In zahlreichen NATO-Hauptstädten sei bereits Kritik am Schweigen Washingtons laut geworden. Tscherwow verwies darauf, daß die neuen amerikanischen Abrüstungsvorschläge auch die Reduzierung von Kampfflugzeugen und Kampfhubschraubern enthalten.

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