Männer! Vorm Bumsen auf den Bock!

■ Die Prostituierteninitiative „Hydra“ fordert die Abschaffung der gesetzlichen Zwangskontrollen / Statt dessen sollen die Männer sich auf Geschlechtskrankheiten untersuchen lassen / Am Freitag soll des Prostituiertenaufstands von 1975 in Lyon gedacht werden

Keinen Bock auf Bockscheine! So läßt sich auf einen Nenner bringen, was den Prostituierten auch in Berlin schon seit längerem aufstößt: die Zwangskontrollen alle zwei Wochen und die damit verbundene Kletterei auf den gynäkologischen Stuhl im Gesundheitsamt, den sogenannten Bock. „Wir fordern die sofortige Abschaffung der Kontrollen samt Stempelscheinen sowie die freie Wahl des Gynäkologen“, erklärte Stephanie Klee von der Prostituierteninitiative Hydra gestern mittag. Aktueller Anlaß für den Hydra-Gang an die Öffentlichkeit: der Jahrestag des Prostituiertenaufstands in Lyon. Dort hatten die Frauen des Gewerbes am 2.Juni 1975 eine Kirche besetzt, um auf ihre rechtlose Situation aufmerksam zu machen. In zahlreichen Morden an Prostituierten war nur unzureichend ermittelt worden, Bußgelder wegen angeblich unzüchtigen Auftretens in der Öffentlichkeit hagelten auf die Frauen in Lyon täglich ein. „Wir wollen wie auch unsere Kolleginnen in anderen Städten den Tag feiern, wo sich die Prostituierten erstmals organisiert haben“, so Klee. Am kommenden Freitag wird deshalb auf dem Grünstreifen vor der Urania ein sogenanntes „Gesundheitshaus“ errichtet, wo sich zur Abwechslung mal nicht die Prostituierten zur Untersuchung auf Geschlechtskrankheiten einfinden sollen, sondern potentielle Freier - Männer eben. Und damit die auch tatsächlich auf den gynäkologischem „Bock“ des „Gesundheitshauses“ klettern, haben die Frauen von Hydra insgesamt 2.000 Briefe und Bockscheine an Männer aus Senats und Bezirksverwaltung verschickt. Die Reaktion: „Viele Männer haben sich beschwert, daß sie einen Bockschein gekriegt haben, weil sie sich damit gleich als geilen Bock abgestempelt sahen“, so Hydra-Mitarbeiterin Helga Bilitewski. Daß der Bockschein so heißt, wie er heißt habe aber natürlich nur etwas mit dem gynäkologischen Stuhl zu tun. „So sehen die Männer jetzt wenigstens mal, was es heißt, andauernd mit so einem Schein konfrontiert zu sein, wo Paßbild und Adresse eingetragen sind und Du Stempel sammelst.“ Einige Männer hätten sogar gefordert, aus der Hydra-Kartei gestrichen zu werden. Dazu Claudia Fischer von Hydra: „Wir haben die Adressen absolut willkürlich herausgesucht.“ Nur daß alle Berliner Abgeordneten mit Ausnahme der REPs einen Bockschein samt Untersuchungstermin am 2.Juni zugeschickt bekommen hätten, sei kein Zufall. Der Regierende Bürgermeister Walter Momper sei natürlich auch nicht vergessen worden. „Er hat aber noch nicht gesagt, ob er kommt“, so Claudia Repetto.

Mehr Aufklärung und Gesundheitsvorsorge statt staatlicher Zwangskontrollen - das zu erreichen ist das Ziel der Hydra -Prostituierten. „Gerade auch die Männer müssen sich öfter untersuchen lassen und mehr Eigenverantwortlichkeit zeigen“, erklärte Stephanie Klee auf der Pressekonferenz. Die Schuld an den Geschlechtskrankheiten könne nicht immer nur bei den Frauen gesucht werden. „In Großbritannien, Frankreich und anderen Ländern ist dieses Gesetz, daß die Kontrollen vorschreibt, schon längst abgeschafft worden“, so Claudia Fischer. Dort habe man bereits vor langer Zeit erkannt, daß den Geschlechtskrankheiten durch Repression nicht beizukommen sei. Hydras Alternativvorschlag in Sachen Volksgesundheit: Öffentliche Gesundheitshäuser, in denen sich jeder kostenlos die Zähne ziehen oder seinen Tripper behandeln lassen kann!

Christine Berger