Drei Sprossen Himmelsleiter zum Erfolg

■ Vom Nichtskönner zum Superstar / John Lurie kann machen was er will - Jubel ist gewiß

Ausgangslage: Man schreibt das zwanzigste Jahrhundert, die Achtziger Jahre darin, und die Welt hat schon viel gesehen. Seit gut 200 Jahren wird das Land westlich des Atlantik von notorischen Land-und Lebensstilräubern regiert, die man Yankees nennt. Das Land hat eine Hauptstadt und es hat eine Metropole, die umgeben ist mit einem mythischen Schleier, der alle dortigen Erscheinungen von weitem wie goldglänzend erscheinen läßt.

Zwei Brüder, nennen wir sie John und Evan, wachsen auf in diesem Land, in dessen unermeßlicher Weite eine grenzenlose Spießigkeit ihr Heim hat. „Laß uns berühmt werden“, sagt der eine zum anderen, „etwas Spannenderes finden wir nicht.“ „Alright“ antwortet der Bruder, schiebt lässig den Chewing -Gum in die andere Mundhälfte, wendet den Blick von den schwarz-weißen Tasten unter seinen schlanken Fingern und fragt: „But, how to

do that?“ Die Antwort ist ganz einfach. „Wir müssen nach New York und dann müssen wir die richtigen Leute kennenlernen und dann machen wir Musik oder Filme oder Literatur oder wir malen, aber am besten machen wir wahrscheinlich Musik, dann kannst du immer am Klavier sitzen bleiben und damit du merkst, daß es mir ernst ist, kauf ich mir gleich ein Saxophon und dann können wir anfangen.“ Gesagt, getan und bis hierher ist diese Geschichte natürlich voll fiktiv.

Erster Schritt: Die beginnenden 80er Jahre sind eine ausgezeichnete Zeit für experimentierfreudige musikalische Dilettanten. Besonders in New York wo sich weiße Punks und schwarze Jazzmusiker ganze Straßenzüge teilen und sich in den Musikstudios die Klinken in die Hände drücken, wächst eine kleine Szene weißer Musiker heran, die die Härte und Dissonanz des Punk mit Löffeln gefressen haben und

daneben nach der Individualität der Ausdrucksformen des Jazz dürsten. Eine der Bands, die aus dieser Spannung entstehen, heißt „The Lounge Lizards“ - die Brüder Evan und John Lurie bedienen Klavier und Altsaxophon, der Nichtskönner Arto Lindsay gängelt wunderbar geschmackvoll seine Gitarre und das paranoische Rhythmusgespann Steve Piccolo und Anton Fier sorgt für den Schwung, der alles zusammenhält. Der Bedarf für diese Musik lag in der Luft, die Lounge Lizards hatten sich gefunden, John Lurie entwarf mit dem Etikett 'Fake -Jazz‘ die Schublade für die Journalisten, heraus kam eine Schallplatte und der Erfolg war zwar bescheiden, weil die Musik Konfliktvermögen und Selbstironie forderte, aber gesichert.

Zweiter Schritt: Eine Platte, das machten damals viele. Eine Platte dazu in einer Sparte, die neu war und im immer schneller werdenden Kategorien-Reigen des Musik-Business eine weitere Eintags-Hype zu werden drohte, das war einfach nicht berühmt genug, das garantierte noch lange

nicht die Wohnungsmiete. John Lurie drehte also Filme, zunächst als Regisseur, dann als Schauspieler, und weil New York nun einmal eine Stadt aus unserer Zukunft und das Thema ist, und weil John Lurie sich selbst darstellend ein Lebensgefühl auf die Leinwand bringt, das authentisch und voll hip ist und seinen Kopien in all den anderen Städten immer um die entscheidende Nasenlänge voraus, wurden die kleinen bescheidenen Streifen von Jim Jarmush zu richtigen Filmrennern, so daß er schließlich mit „Down by Law“ noch eins draufsatteln konnte und seine Darsteller John Lurie, Tom Waits und Roberto Benigni nun schon so berühmt sind, daß sich die Straßenköter nach ihnen umdrehen.

Zurück zur Bühne: John Lurie hat es also geschafft: Sein Bild ist fix, sein Image bekannt, vor Jahren schon machte er seinen Namen zum Vor-und die Lounge Lizards zum Nachnamen seiner Band, weil das besser zieht. Der Zeitgeist befiehlt eben den coolen Mann auf der Bühne, der lässig seine Geschichten erzählt und en

passant eine kleine Publikumsbe schimpfung improvisiert, supergeil zu finden. Nicht zu Unrecht, obwohl sich doch so viel geändert hat: Von der Urbesetzung der Lounge Lizards ist nur noch Bruder Evan Lurie übriggeblieben, John selbst kann mittlerweile schon ganz passabel Saxophon spielen, scheut sich auch nicht mehr, eine Harmonie in den Mund zu nehmen, und von Fake-Jazz ist schon längst nicht mehr die Rede, die Lounge Lizards pflegen eine recht konventionelle Jazzmusik im Stil der „Sixties Avantgarde“. Dabei bleiben die Lounge Lizards aber so lebendig, so persönlich, so makelhaft, daß eine ganze Menge von der Spielfreude und Ausdruckskraft, die diese Musik einst hatte, erhalten bleibt. Lurie hat es geschafft, sein Produkt wird gekauft und für gut befunden, obwohl er nur das macht, was er schon immer wollte, es wird für gut befunden, nur weil es von ihm kommt, und mehr kann Erfolg nicht sein. ste

John Lurie and The Lounge Lizards spielen heute, 20 Uhr im Modernes