: Major im Richtertalar
■ Amtsrichter verurteilte Jehovas Totalverweigerer
Wenn Amtsrichter Hans-Joachim Gerboth über einen Fall von Fahnenflucht zu urteilen hat, wird der Gerichtssaal zum Kasernenhof. Schließlich weiß der Major a.D. aus langer Berufserfahrung, welchen Ton er dort anzuschlagen hat. Während gestern mittag die Bremer Zivildienstleistenden gegen ihre Verplanung für den Kriegsfall streikten, war Richter Gerboth im Amtsgerichts wieder in seinen Kasernenhofton verfallen: Ein Zeuge Jehovas war der „Dienstflucht“ überführt, fünf Monate Knast auf Bewährung lautete des Urteil des Majors im Richtertalar.
Damit blieb Gerboth drastisch über der Forderung des Staatsanwalts Gert Hampf, der zunächst eine Einstellung des Verfahrens vorgeschlagen hatte. Doch noch bevor er die Begründung dafür abgeben konnte, hatte Richter Gerboth ihn schon abgeschnitten: „Keine Zustimmung!“ beendete er jede Diskussion über eine Einstellung. Wegen „geringer Schuld“ und dem „guten Eindruck“, den der Angeklagte vor Gericht gemacht habe, plädierte der Staatsanwalt dann auch für eine 3monatige Bewährungsstrafe. Doch Richter Gerboth blieb hart: „Es gibt keine Gewissensentscheidung gegen den Zivildienst“, stellte er kategorisch fest und erkannte auf 5 Monate.
Im Gesetz, auf das sich der 27jährige Totalverweigerer berief, steht es allerdings anders. Extra für die Friedens -Freunde der Zeugen Jehovas, die nicht nur den Kriegs-, sondern auch den Zivildienst verweigern, weil sie sonst im Kriegsfall ebenfalls unter militärische Aufsicht gestellt würden, gibt es den Paragrafen 15a im Zivildienstgesetz. Er bietet für alle, die den Zivildienst „aus Gewissensgründen verweigern“ einen Ersatz an: das „freie Arbeitsverhältnis“. Wer drei Jahre lang in einer Institution angestellt ist, in der auch Zivildienstleistende arbeiten, kann von der Zivildienstpflicht befreit werden.
120 schriftliche Bewerbungen um ein solches „freies Arbeitsverhältnis“ hatte der angeklagte Zeuge Jehovas von 1981 bis 87 abgeschickt - ohne Erfolg. Deshalb rief ihn das Kölner Bundesamt 1988 zum normalen Zivildienst ein. Die Folge: eine Totalverweigerung.
„Die Ablehnung der 120 Bewerbungen waren Folgen eines Mangels im Gesetz“, gab der Verteidiger in seinem Plädoyer zu bedenken, „denn ZDLer sind in den Einrichtungen natürlich erheblich beliebter, weil sie billiger sind als festangestellte Arbeitskräfte.“ Doch Richter Gerboth wollte sich auf solche Entschuldigungen nicht einlassen. „Wer der staatlich auferlegten Wehrpflicht nicht nachkommen will, muß schon den Leidensweg erstmal auf sich nehmen, und kann sich nicht mit 120 Bewerbungsschreiben begnügen.“
Von der Straße schallte leise die Parole der streikenden ZDLer herauf: „Zivildienst ist Kriegsdienst.“
Ase
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