: An einen Verlagsleiter
■ Der DDR-Autor Lutz Rathenow, der vergangenen Monat zum ersten Mal in den Westen reisen durfte, über die Behinderungen seiner Arbeit: Ein Brief an einen Verlagsleiter
Lutz Rathenow
Sehr geehrter Herr G.,
auch ich bedaure, am 8.3. nicht selbst mit Ihnen gesprochen zu haben. Denn so erfuhr ich von jemand Gründe, der diese nur vage von Ihnen erfuhr. Und ich nehme an, auch Ihnen wurden die Gründe (in Form literarischer Veröffentlichungen aus bundesdeutschen Zeitungen und Mitschriften von Telefoninterviews) übermittelt, denn kein Leser hierzulande liest so verschiedenartige und zum Teil entlegene Zeitschriften, aus denen sich das Dossier über mich zusammensetzen muß, wenn ich den begründenden Andeutungen Ihrer Mitarbeiter glauben darf.
Damit wären wir beim Thema. „Sie haben unsere Beziehungen in den letzten Monaten Belastungen ausgesetzt, die mit dem notwendigen Vertrauensverhältnis zwischen Autor und Verleger in starkem Widerspruch stehen.“ Schreiben Sie. Die Zusammenarbeit Autor/Verleger als eine Art psychotherapeutische Behandlung? Frau B. war in ihrer mir verlesenen Erklärung vom 8.3. klarer: „Der Verlag sieht sich im Moment nicht in der Lage, den Gedichtband Zärtlich kreist die Faust zu veröffentlichen und die Zusammenarbeit mit Lutz Rathenow fortzuführen. Das betrifft nicht die künstlerische Qualität der Gedichte. Es handelt sich um eine rein politische Entscheidung auf Grund seiner Aktivitäten in westlichen Medien.“ Läppisch, dann die konkretisierten Vorwürfe zu zerpflücken - zum Beispiel die Behauptung, ich hätte verbreitet, DDR-Stellen hätten den Piper-Verlag bei der Nichtnachauflage des Buches Ost-Berlin - die andere Seite einer Stadt (Fotos: Harald Hauswald) beeinflußt. In Telefoninterviews nahm ich zu diesen fragend vorgetragenen Behauptungen keine Stellung. Oder meine Äußerungen zur Mauer: Ich habe mich nicht erst im Dezember 1988 dazu geäußert. Lesen Sie bitte die Passage in meinem Berlinbuch oder den 'Zeit'-Essay „Fluchtbewegungen“.... Also im Frühjahr 1988, bei Beginn unserer Zusammenarbeit, hätte Ihnen jene das Dossier präsentierende Stelle ein anderes aus dem Vorjahr vorlegen können, das für Sie genauso Anlaß zur Klage hätte sein müssen.
Jetzt kommen wir zu einem entscheidenden Punkt, der ein Raum ist, konspirativ besetzt. Einer der Vorwürfe Ihrer Mitarbeiter, ich hätte auch die Tätigkeit der Sicherheitsorgane angegriffen - jetzt weiß ich nicht mehr, was ich dazu geschrieben haben soll. Nehmen wir es so: Die Ihnen das Dossier übermittelnden Sicherheitsorgane haben Passagen eines Textes von mir als störend empfunden, in dem sie selbst eine Rolle spielen. Da gab es im letzten Jahr nur einen: „Der Westen im Osten“. (...)
Solche Art essayistischer Prosa ist für mich nicht bloßes Beiwerk, sondern zentraler Bestandteil der literarischen Arbeit. Eine Kombination aus Selbstreflexion und Welterkundung. Diese und ähnliche, einmal mehr, einmal weniger politischen Texte, sind für mich eine Fortschreibung des Berlinbuches. Mit liegt es nicht, zwanzig Jahre zu warten, bis diese dann vielleicht einmal in eine künftige Werkausgabe eines Verlages aufgenommen werden würden. Diese Art der Literatur braucht zu ihrer Prüfung eine rasche Veröffentlichung, wird so auch zum Dokument einer sich ändernden Haltung. Was in der Lyrik einige sprachbastlerisch Gesinnte erproben, die Fragmentierung des Autors in mehrere Stimmen, die Auflösung eines klassischen Subjektivitätsbegriffes, findet bei mir gewissermaßen im Spannungsverhältnis der einzelnen Genres zueinander statt. Seit ich offener politische Fragen, die mich interessieren, in die aufsatzähnlichen Texte einlasse, gelingt es mir eher, das Gedicht von einer ihm nicht gemäßen Politisierung fernzuhalten. Die verstreuten Veröffentlichungen sind auch eine Art Versteckspiel, ein Entfremdungstest für Texte unter wechselnden publizistischen Vorzeichen, aber lassen wir diese Selbstinterpretation.
Zurück zu den Sicherheitsorganen. Ich bin nicht politisch tätig, habe keine ideologischen Ambitionen, möchte nur die Dinge wahrnehmen, die mich umgeben. Das ist eigentlich unpolitisch, da ich keine Ziele verfolge. Und da ich die sogenannten brisanten Fragen nicht wichtiger nehme als andere, möchte ich mit ihnen genauso locker umgehen. Wenn ein Mann in einer Geschichte von mir sagen will: „Ich möchte eine andere Regierung!“, so hat das an sich keine leidenschaftlichere Bedeutung als der Satz eines anderen Mannes (oder einer Frau): „Ich esse nur frisches Brot.“ Das Grundinteresse ist frei von jeder Polemik: Auf zwei Gebieten hat es die DDR zur Weltspitze gebracht - im Spitzensport und im Geheimdienst. Sport interessiert mich weniger, was liegt näher, als sich mit dem anderen hin und wieder zu befassen. (...)
Nach all dem, was ich weiß (nicht nur durch Sie!), weiß ich, daß Sie nicht die Schuld am Verbot des Gedichtbandes tragen. Im Gegenteil, Sie sollen energisch darum gekämpft haben. Dieser Brief will keine Polemik sein, sondern das Angebot zu einem Dialog, der nicht im Verschweigen Andeutungen aneinanderreiht. Macht es Sie nicht nachdenklich, daß Sie ein Dossier meiner Aktivitäten zusammengestellt bekommen, auf dessen Art und Weise der Zusammenstellung Sie gar keinen Einfluß haben? War das Telegramm an die Westberliner alternative tageszeitung dabei, in dem ich gegen die Hausdurchsuchung der Redaktionsräume protestierte? Allein das Weglassen von scheinbar unverfänglichen Einzelveröffentlichungen verzerrt den Gesamteindruck. Lagen Ihnen wirklich Mitschriften aller im vergangenen Jahr gehaltenen 'Deutschlandfunk'-Interviews vor - oder hat man nur die „schärfsten“ Stellen tendenziös herausgefiltert? Wenn Sie alle kennen, werden Sie merken, daß ich mich nie zu Interna des Mitteldeutschen Verlages geäußert habe - selbst zu einem Zeitpunkt nicht, als ich hörte, daß es Probleme mit dem Buch gibt. Das war ja auch unsere Abmachung - sich nicht zu internen Verlagsangelegenheiten öffentlich zu äußern... Natürlich sprachen wir im Frühjahr 1988 auch über allgemeines politisches Verhalten. Sie verwandten den Begriff „Loyalität zum Staat“. Die Anhänger König Jakobs des Zweiten von England bezogen ihn wohl als erste auf sich, ich verstehe den Begriff nicht. Falls das heutzutage hier die gängige Verbindungsachse zwischen Macht und Künstlern sein oder werden soll, scheint sie mir arg feudalistisch durchmufft. Ich legte klar dar, daß ich nicht wüßte, was ich in einem Jahr schreiben werde - und würden Freunde von mir verhaftet, würde ich wieder - wie kurz zuvor - darauf reagieren. Ich legte auch dar, daß ich auf eine positive Entwicklung hoffe, Sie stimmten dem zu. Ich kann das nur bekräftigen und habe auch heute kein Pensum zu absolvierender antistaatlicher Bosheit im Jahresplan. Ich bin für jede Entwicklung im mehrfachen Sinne offen! In der Arbeit verselbständigt sich die Arbeit ohnehin, dieser Brief allein mag Beleg dafür sein, ich weiß in diesem Moment gar nicht mehr, ob ich ihn für Sie, für mich oder für sonstwen schreibe. Sicher ist nur: Bis zum 8.3. hätte ich ihn so nicht geschrieben oder ihn rein privat an Sie gerichtet. Nun denke ich, sollten die Fakten und Gedanken an die Öffentlichkeit, nicht um Sie etwa auf eine Anklagebank zu setzen (ich fühle mich auch nicht auf der Klagebank), sondern weil eben diese Öffentlichkeit ein Recht hat, über real existierende Voraussetzungen für das Verbreiten von Literatur informiert zu werden. (...)
Mit Wirkung vom 15.3. geben Sie mir also die Rechte an den Gedichten Zärtlich kreist die Faust zurück... Ich schlage Ihnen hiermit vor, im Laufe dieses Jahres doch noch eine kurzfristige Veröffentlichung des Bandes zu überprüfen. Ich lasse mich gern überraschen... Freilich kann ich nicht auf einen Teil meiner literarischen Arbeit verzichten, um einen anderen Teil zu ermöglichen. Und wenn ich den Konflikt auch nicht suche, so weiche ich ihm doch nicht notorisch aus. Die Einmischung jener Sicherheitsorgane, die Ihnen Dossiers zur Verfügung stellen, zu denen ich nicht einmal Erläuterungen geben kann, gehören garantiert zu den problematischen Rahmenbedingungen des hiesigen Literaturbetriebes. Genaugenommen werden Sie durch jene Stellen genauso entmündigt wie ich. Insofern werde ich weiter jene Bedingungen reflektieren, die auch ihre verlegerische Freiheit einschränken.
Daß es Fortschritte gegeben hat in den letzten Jahren, bestreite ich nicht. Doch die viel ummunkelte neue Genehmigungspraxis weist einschnürende Grenzen auf, wenn in einem Fall wie dem meinen eine Art Gesinnungszensur als Vorzensur für den Text fungiert. Ich fühle mich tatsächlich (literarisch als auch von der gesamten Haltung her) ostmitteleuropäischen Autoren wie Brandys (Polen), Ludvik Vaculik (CSSR) oder Konrad (Ungarn) näher als den meisten aus der DDR. Ich denke auch, daß es nicht nur um mich geht, auch wenn es momentan fast nur um meinen Gedichtband zu gehen scheint. Ich bezweifle, daß für Autoren wie Stephan Schütz, Wolfgang Hegewald, Jürgen Fuchs, Katja Lange-Müller, Erich Loest, Christa Moog und andere jetzt ein Platz in der in der DDR gedruckten Literatur zu finden wäre. Auch wenn sie außerhalb leben, gehören sie zu jener deutschsprachigen Literatur, die auch zur DDR-Literatur gezählt werden muß.
Ich wünsche Ihnen mehr Möglichkeiten, diese veröffentlichen zu können. Und ich nehme den letzten Satz Ihres Briefes als Entschuldigung („Abschließend möchte ich noch einmal bedauern, daß die Dinge eine solche Entwicklung genommen haben“), ich denke - sicher in diesem Punkt anders als Sie -, daß nur öffentliche Information und Diskussion eine bessere Entwicklung befördern kann. Ein freundlicher Gru
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen