: Ohne Bullen kein Krawall (neue Fassung)
■ Senatskommission zur Randale am 1.Mai in Kreuzberg bestätigt schwere Fehler der Berliner Polizeiführung / Einsatzleiter als Einheizer? / Vor Untersuchungsausschuß zur Frage: Unfähigkeit oder Absicht?
Berlin (taz) - Eklatante Fehler der polizeilichen Einsatzleitung haben dazu geführt, daß es am 1. Mai in Berlin-Kreuzberg zu den bekannten schweren Ausschreitungen gekommen ist. Das ist das unausgesprochene Resümee einer vom Innensenat eingesetzten internen Untersuchungskommission, die vom ehemaligen Direktor der nordrhein-westfälischen Bereitschaftspolizei, Kurt Gintzel, geleitet wurde. Offiziell vorgelegt wird der Bericht der Gintzel-Kommission am kommenden Montag. Nach Informationen des Sender Freies Berlin (SFB), die der taz aus informierten Kreisen bestätigt wurden, vermeidet die Kommission zwar direkte Schuldzuweisungen. Allerdings weist der Bericht doch detailliert nach, was jeweils von der Polizeiführung unterlassen wurde, um die Situation unter Kontrolle zu bekommen.
Anhand der Einsatzprotokolle und der Aussagen der beteiligten Beamten wird der Ablauf des Einsatzes rekonstruiert und eine ganze Kette schwerer Versäumnisse aufgedeckt. Das beginnt schon mit der Vorbereitung des Einsatzes. Zur seitlichen Begleitung einer Demonstration von fast 10.000 Leuten setzte die Polizei ganze 60 Beamte ein, die an der insgesamt 12 Kilometer langen Strecke völlig hilflos waren. Und entgegen den sonstigen Gepflogenheiten der Berliner Polizei wurde kein Schutz der gefährdeten Objekte entlang der Demonstrationsroute vorgenommen. Noch ein Beispiel: Als im Anschluß an die Demonstration ein Getränkeladen ausgeräumt wurde, schickte die Einsatzleitung ihre Truppe per Funk in eine falsche Straße Verstärkungseinheiten, die von sich aus ihren Einsatz anboten, wurden mit dem Hinweis, man habe „Kreuzberg fest im Griff“, zurückgehalten.
Politisch relevant an dem Untersuchungsbericht ist vor allem, daß er mit der Legende aufräumt, die Polizeiführung hätte sich ausschließlich an die Anweisungen des neuen Berliner Innensenators Pätzold gehalten. Fortsetzung auf Seite 2
Aus den Einsatzprotokollen ergibt sich vielmehr, daß die Weisungen des Senators „gar nicht beachtet wurden“. Laut „SFB“ versucht der Gintzel-Report sich nicht an einer Erklärung für die beschriebene Polizeistrategie. Die in Berlin seit dem Einsatz diskutierte Frage, ob hier schlichte handwerkliche Unfähigkeit waltete oder die absichtliche Herbeiführung eines Deasasters zur Kompromittierung eines ungeliebten Senats vorliegt, wird von der Kommission nicht beantwortet. Zu dieser Frage soll auf Antrag der CDU -Opposition demnächst ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß eingerichtet werden.
Der wird dann auch zu klären haben, warum der eigentlich verantwortliche Landespolizeidirektor Kittlaus am 1. Mai die Einsatzleitung an einen Polizeidirektor delegierte, der im Vorfeld der Wahlen aus seinen Sympathien für die „Republikaner“ keinen Hehl gemacht hatte. Dieser
Polizeidirektor Heinz Ernst, Chef der Kreuzberger Polizei -Direktion V, gab dann seinerseits die Einsatzleitung am 1. Mai ebenfalls wieder ab, um fünf Uhr nachmittags, während der schärfsten Randale. Das Kommando im Chaos führte dann der in solchen Großeinsätzen völlig unerfahrene Polizeioberrat Hinske.
JG
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen