: Die Anderen: Le Monde: Ergebnisse des NATO-Gipfels / Le Figaro: Margaret Thatcher / The Independent, The Guardian: Beziehungen London Washington / Haaretz: Rede Georg Bushs
Zu den Ergebnissen des Nato-Gipfels und des Deutschlandbesuchs von US-Präsident George Bush schreibt die unabhängige Pariser Zeitung:
Bundeskanzler Kohl ist mit dem Ergebnis dieser Woche sichtlich zufrieden: der Kompromiß über die nuklearen Kurzstreckenwaffen hat den koalitionsinternen Konflikt entschärft, und die Freundschaftsbekundungen von George Bush haben fürs erste offenes, gegenseitiges Mißtrauen beendet. Es ist noch zu früh, um die Auswirkungen dieser Ereignisse auf die öffentliche Meinung zu beurteilen, die ihr Urteil in drei Wochen bei den Europawahlen und mehreren Landtagswahlen fällen wird. Aber man kann schon jetzt feststellen, daß der Bundeskanzler das Schlimmste vermieden hat: einen mehr oder weniger schwelenden Konflikt mit seinen Partnern der Allianz bis zu den Bundestagswahlen hinzuschleppen.
Le Figaro
Durch den Strategiewechsel Bushs sieht die britische Premierministerin Margaret Thatcher nach Einschätzung der konservativen Pariser Zeitung 'Le Figaro‘ ihre Rolle als privilegierte Gesprächspartnerin der Amerikaner in Europa bedroht.
Margaret Thatcher stellt sich ernsthaft die Frage nach ihrem Platz in der diese Woche von George Bush umgewälzten Ost -West-Landschaft. Die beiden Supermächte haben sich künftig auf das gleiche Ziel verständigt: ein „gemeinsames europäisches Haus“ zu errichten durch die möglichst rasche Beseitigung der Artillerien zu beiden Seiten des Eisernen Vorhangs. Washington und Moskau haben natürlich gegensätzliche Hintergedanken: die Bush-Regierung will durch eine Ausweitung des Anwendungsbereichs der Helsinki-Abkommen Osteuropa im westlichen Lager verankern. Michail Gorbatschow stützt sich auf die pazifistischen Kräfte in der Bundesrepublik, um die Entnuklearisierung Europas zu erreichen und dort den sowjetischen Einflußbereich auszudehnen. Die „deutsche Frage“ steht mehr denn je im Mittelpunkt dieses Entspannungswettlaufs auf dem alten Kontinent. (...) Bisher träumte Margaret Thatcher davon, die privilegierte Mittlerin, europäisches Bindeglied, in der amerikanisch-sowjetischen Partie zu sein. (...) Mit der Wiederherstellung der amerikanischen Führungsrolle in der Allianz, bedarf es keines „Mittlers“ mehr. Die Bundesrepublik ist der Schwerpunkt in Europa geworden. Margaret Thatcher hat nicht mehr die erste Rolle.
The Independent
Der liberale Londoner 'Independent‘ beschäftigt sich angesichts des Besuches von US-Präsident George Bush mit den „besonderen Beziehungen“ zwischen London und Washington.
Die Freundschaft der Premierministerin mit Reagan zusammen mit ihrem anerkannten Erfolg in der Sanierung der britischen Wirtschaft hat Großbritannien in die Lage versetzt, auf der internationalen Bühne eine Rolle zu spielen, die größer war als sein natürliches Gewicht. Westdeutschland litt unter einer langweiligen Führung, und Frankreichs traditionelle Komplexe gegenüber den USA schlossen enge Beziehungen aus. Frau Thatcher füllte das Vakuum. Aber längerfristig begriff sie nicht, daß die britischen Beziehungen mit Europa und mit den Vereinigten Staaten nicht, wie sie manchmal zu denken schien, alternativ oder in einigen Fällen gegensätzlich, sondern sich ergänzend sind. Indem sie ihre europäischen Partner mit ihrer Bevorzugung für ein Europa a la carte entfremdete, unterminierte sie den britischen Status in Washington.
The Guardian
Auch der linksliberale 'The Guardian‘ kommentiert die Zukunft der „besonderen Beziehungen“ zwischen London und Washington:
Es ist kennzeichnend, daß Churchill den Begriff „besondere Beziehung“ in der gleichen berühmten Rede prägte, in der er auch vom „Eisernen Vorhang“ sprach. Die Idee, daß Großbritannien und die Vereinigten Staaten eine einzigartige, enge Beziehung haben sollten, würde niemals geblüht haben, wäre Europa und die Welt nicht so hart durch den Kalten Krieg geteilt worden. Wo der Konflikt sich seinem Ende nähert, ist es deshalb richtig, die Nützlichkeit dieses sonderbaren Begriffs zu untersuchen, der halb Politik, halb Mythos ist und der das britische Verhalten in der internationalen Politik mehr als 40 Jahre lang geleitet hat. (...) Es ist nicht so sehr, daß Westdeutschland ein wichtigerer Verbündeter ist, sondern eher, daß Westdeutschland in der neuen Situation einfach ein wichtigerer Akteur auf wirtschaftlichem und politischem Gebiet geworden ist.
Haaretz
Die linksliberale israelische Zeitung bezeichnet die Rede von US-Präsident Bush in Mainz als „brillanten Schachzug“, der das Gleichgewicht Europas gefährden könne.
Das Gleichgewicht in Europa wurde ausgerechnet von Bush in Gefahr gebracht, und er hat die Befürchtungen vor einem vereinigten Deutschland vergrößert. Berlin, konkreter gesagt, der Ost-Teil der Stadt, ist die Hauptstadt Ost -Deutschlands. Es ist nicht denkbar, daß die DDR auf ihre Hauptstadt verzichtet, es sei denn, der Verzicht wird im Rahmen eines Abkommens über eine Wiedervereinigung Deutschlands erfolgen. Ein solches Abkommen stellt eigentlich die einzige Möglichkeit dar für eine Zustimmung der harten Kommunisten Ost-Deutschlands zur Annexion Ost -Berlins durch den großen Nachbarn im Westen und zur Abschaffung der Todesmauer, die seit 1961 die Trennung der beiden Teile des Landes, des Volkes und der Stadt symbolisiert.
Aber die Parolen über eine Vereinigung Europas und der Zerstörung der Berliner Mauer waren am Platze, solange der Kalte Krieg diese Entwicklungen auch verhindern konnte. Haben Bush und seine Reden-Schreiber vergessen, daß die Zeiten sich geändert haben; daß das, womit man den Kreml vor zehn oder fünf Jahren ärgern konnte, nicht mehr nur ärgert, sondern eine echte Gefahr geworden ist? Eine neue Ordnung muß geschaffen werden. Die Zeit rennt. Die neuen deutschen Nationalisten, die NPD und die Grünen, könnten 1990 sogar an die Macht kommen und diese könnten, ob bewußt oder nicht, Deutschland wieder in eine Situation bringen, in der es die ganze Welt bereits zweimal in Weltkriege gestürzt hat.
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