: Khomeini hinterläßt nichts als Ruinen
■ Nach zehn Jahren Revolution ist das Land durch inneren und äußeren Krieg zerstört
Nun kann man die Angehörigen beglückwünschen, genau so wie Khomeini es für die Familien jener Jugendlichen angeordnet hatte, die er auf die Minenfelder des Golfkrieges schickte. Der Tod sei ein Segen, eine Erlösung, die Pforte zum Paradies. Daher sei Trauer nicht angebracht, man müsse den Tod feiern. Es ist allerdings höchst fraglich, ob nun auch dem Ayatollah die Pforte zum Paradies geöffnet wird. Vor einer Versammlung von Parlamentariern sagte er einmal, „ich fürchte, und diese Furcht beunruhigt mich oft, daß diese Menschen, die für uns kämpfen, ins Paradies kommen, wir aber in die Hölle“. Die Furcht war nicht unbegründet. Zu viele Menschen hat der selbsternannte Stellvertreter Gottes bereits auf Erden Höllenqualen ausgesetzt. Hunderttausende Kinder und Jugendliche ließ er als Kanonenfutter an die Kriegsfront schicken, Zehntausende in den Gefängnissen foltern und hinrichten.
Ruhollah - sein Name bedeutet Seele Gottes - wurde 1902 in Chomein, einer kleinen Stadt am Rande der großen iranischen Salzwüste geboren. Im sechsten Monat nach seiner Geburt wurde sein Vater, ein Geistlicher, ermordet. Dies wurde von der abergläubischen Bevölkerung Chomeins als schlechtes Omen aufgefaßt. Ruhollah sei ein Unglückskind, raunten die Bewohner. Ihre Befürchtung sollte sich später bewahrheiten. Bis zu seinem 60. Lebensjahr allerdings blieb der schiitische Schriftgelehrte im Verborgenen, wirkte listig im Hintergrund, im Schatten bekannter Religionsführer und Politiker. Erst 1963 tauchte sein Name in der Öffentlichkeit auf. Als Wortführer einer fundamentalistisch-schiitischen Revolte prangerte er die sogenannte „Weiße Revolution“ des Schah an. Er verurteilte die darin angekündigte Landreform und vor allem das für Frauen vorgesehene Wahlrecht. Nach der Zerschlagung dieser Revolte, bei der es mehrere tausend Tote gab, wurde Khomeini für kurze Zeit verhaftet und anschließend nach einer mutigen und beleidigenden Rede gegen den Schah erst in die Türkei und dann in die irakische Stadt Nadjaf, das Zentrum des schiitischen Glaubens, verbannt. Erst im Oktober 1978 tauchte er überraschend in Paris auf und gelangte über Nacht zu Weltruhm. 15 Jahre lang hatte er im Exil im stillen Kämmerlein mit sich und seinem Gott verbracht, hatte kaum das Haus verlassen, selten Besuch empfangen und den lieben langen Tag Gebete vor sich hin gemurmelt. Nun stand er mit einem Schlag auf der politischen Bühne und durfte eine Hauptrolle spielen.
Versprechen
Die Unterstützung, die Khomeini während des Aufstands in den Jahren 1977/78 von nahezu der gesamten Bevölkerung des Iran erhielt, schuf die besten Voraussetzungen, die je einem Revolutionsführer zur Durchsetzung der Ziele der Revolution zuteil wurden. Hätte Khomeini tatsächlich den Wünschen und Bedürfnissen der Bevölkerung nach Freiheit und Demokratie, sozialer Gerechtigkeit und nationaler Unabhängigkeit entsprochen, hätte der Iran eine für viele Länder der Dritten Welt beispielhafte Entwicklung einschlagen können. Aber der Ayatollah hatte anderes im Sinn. Er wollte den Gottesstaat auf Erden errichten.
Khomeini brauchte zuerst die Macht: die Versprechungen, die er für die Zeit nach dem Sturz des Schah abgab, brachten selbst die Pessimisten und Skeptiker zum Schweigen. „Rede und Meinungsfreiheit gehören zu den elementarsten Rechten der Menschen. Unter keinem Vorwand dürfen diese Rechte angetastet und eingeschränkt werden“, sagte er. „Jeder Bürger muß an der Bestimmung seines Schicksals direkt beteiligt werden. Die politischen Parteien werden völlige Handlungsfreiheit genießen. Alle staatlichen Organe, die zur Unterdrückung der Bürger bestimmt sind, werden aufgelöst. Dergleichen wird es in Zukunft niemals mehr geben. Jede Art der Zensur muß aufgehoben werden. In Zukunft wird jeder Iraner schreiben und lesen können, wozu er Lust verspürt. Alle ethnischen und religiösen Minderheiten müssen das Recht erhalten, ihren nationalen und religiösen Zielen frei nachzugehen.“
Und derselbe Ayatollah, der 15 Jahre zuvor gegen das Wahlrecht für Frauen rebelliert hatte, erklärte unzweideutig, daß in der künftigen iranischen Republik die Frauen sogar das Amt des Staatspräsidenten übernehmen könnten. Er versicherte, alle bestehenden Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern zu beseitigen. Wörtlich: „Wir versichern, daß in unserer künftigen Republik alle Frauen in der Wahl ihres Berufes, ihrer Tätigkeit und selbstverständlich auch in der Wahl ihrer Kleidung unter Berücksichtigung gewisser Bestimmungen völlig frei sein werden.“
„Islamische Herrschaft“
Hätte Khomeini diese Versprechungen in Paris nicht abgegeben und auf den Koran geschworen, es werde in Zukunft niemand wegen seiner politischen Meinung verfolgt, verhaftet, es werde niemals jemand gefoltert werden, hätte er auch nur angedeutet, was er im Schilde führte, kein Hahn hätte nach ihm gekräht. Später bedurfte es der Mobilisierung unaufgeklärter Massen, einer Menge Manipulation, massiver Gewalt und Terror, bis der Ayatollah und seine Jünger ihren blutigen Himmel auf unserer blühenden Erde errichten konnte.
Khomeini hatte seine Vorstellungen von einem islamischen Staat bereits während seines Aufenthalts im irakischen Exil unter dem Titel Islamische Herrschaft veröffentlicht. Dort heißt es: „Während andere Systeme sich um die Verwaltung öffentlicher Angelegenehiten kümmern, ist der islamische Staat, das System des Velayate Faghieh (Herrschaft der Geistlichkeit, d.Red.) dazu berufen, auch das Privatleben der Menschen zu kontrollieren. Der islamische Staat empfängt seine Anweisungen von Gott, dessen Willen in allen Bereichen der Gesellschaft durchzusetzen. Von vor der Geburt bis nach dem Tod muß also das Leben eines jeden Individuums der staatlichen Kontrolle unterstehen. Ein Ausscheren des einzelnen aus diesem System kann und darf es nicht geben. Auch nationale Grenzen sind für dieses System ohne Bedeutung, denn früher oder später wird sich Gottes Wille überall durchsetzen und die ganze Menschheit erfassen.“ Das Buch hatte übrigens kaum jemand vor der Revolution gelesen.
Berauscht von dieser Vision machten sich Khomeini und seine Jünger ans Werk. Die Mullahs verstanden es sehr gut, die richtigen Instinkte bei den Massen wachzurufen, die jahrzehntelang gegen privilegierte Schichten aufgestauten Aggressionen freizusetzen und sie auf ihre Widersacher zu lenken. Politische Gegner wurden mit religiösem Vokabular verteufelt und den hysterisierten Hizbollahis (Parteigänger Gottes) zum Fraß hingeworfen. Kommunisten, Liberale, Demokraten, Nationalisten, religiöse und ethnische Minderheiten wurden als Heiden, Ketzer, Gotteslästerer, Verderber auf Erden verfolgt. Sie zu töten, galt als religiöse Pflicht. Und wer in diesem „Heiligen Krieg“ fiel, konnte laut Khomeini sicher sein, daß er als Märtyrer die gebührende Belohnung von Gott empfangen und ins Paradies aufgenommen werden würde.
Iran - eine Ruine
Noch nie wurde ein Volk, das zur Erringung seiner Freiheit und Unabhängigkeit aufgestanden war, nach so kurzer Zeit und in dieser brutalen Weise von seinen Führern betrogen. Die Gewalt richtete sich nicht nur gegen politische Widersacher, sondern gegen alle, die nicht bereit waren, sich dem Diktat der islamischen Fundamentalisten zu unterwerfen. Fast zwei Jahre benötigte Khomeini, um die absolute Macht zu erringen und im Iran eine Schreckensherrschaft zu errichten, die in unserer Geschichte ihresgleichen sucht.
Zehn Jahre Krieg nach außen und Terror nach innen haben den Iran in eine Ruine verwandelt. Ökonomisch ist das Land am Ende, politisch völlig isoliert. Sechs Millionen Arbeitslose, drei Millionen Flüchtlinge im Ausland, zerstörte Städte und Dörfer, Kriegsinvalide, Massengräber, überfüllte Gefängnisse und nicht zuletzt psychisch zerstörte, gedemütigte, enttäuschte Menschen. Das ist das Werk jenes Mannes, der sich auf Gott berief, aber die Macht meinte. Das iranische Volk würde, wenn es könnte, seinen Tod mit einem rauschenden Fest feiern.
Bahman Nirumand
(iranischer Schriftsteller)
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