piwik no script img

Erfolg für Schwestern und Pfleger

■ Öffentliche Arbeitgeber und Gewerkschaften einigten sich auf neue Tarife / Einkommensverbesserungen in den Kliniken um bis zu zehn Prozent inklusive Aufstiegschancen und Schichtzulagen vereinbart

Berlin (ap/dpa/taz) - Als „einen der größten tarifpolitischen Erfolge“ der Gewerkschaft ÖTV wertet die Organisation das Ergebnis der am Wochenende in Stuttgart abgeschlossenen Tarifverhandlungen für die rund 200.000 Schwestern und Pfleger. Offenbar unter dem Druck der öffentlichen Empörung über den Pflegenotstand und der erstmaligen Warnstreiks im Gesundheitswesen gaben die Arbeitgeber nach: Einkommenserhöhungen von insgesamt fast zehn Prozent, bessere Aufstiegschancen sowie die künftige Einbeziehung des Altenpflegepersonals in die Tarifvereinbarungen bilden die Kernpunkte des Ergebnisses. Die neue Schichtzulage von 70 bis 100 Mark monatlich dürfte entsprechende Forderungen von anderen Nachtarbeitern im Öffentlichen Dienst nach sich ziehen. Die generelle Höhergruppierung aller Beschäftigten konnte die Gewerkschaft nicht durchsetzen. Gleichwohl rechnet die ÖTV „mit einem kräftigen Lohnschub“ und freut sich über die erreichte Reform der Vergütungsordnung.

Danach werden künftig alle Berufsanfänger eine Tarifgruppe höher, nämlich nach „KR4“ bezahlt. Dies bringt monatlich 108 Mark brutto mehr. Nach zwei Berufsjahren rücken alle Schwestern und Pfleger automatisch in die nächsthöhere Verdienstgruppe „KR5“ und erhalten so zwischen 125 und 186 Mark brutto zusätzlich. Weitere vier Jahre später folgt die Einstufung in die neue Vergütungsgruppe „KR5a“. Bisher war für Schwestern in der sogenannten Grundpflege „KR4“ (für eine ledige Frau 2.641 Mark brutto) finanzielle Endstation. Das betraf fast jede zweite Pflegekraft. Da die bisherigen Tätigkeitszeiten voll angerechnet werden, werden viele jetzt in die Gruppe „KR5a“ befördert. Das macht - ohne die neuen Schichtzulagen - immerhin rund 210 Mark brutto aus.

Insgesamt veranschlagen die Arbeitgeber von Bund, Ländern und Gemeinden den Tarifabschluß mit einem jährlichen Kostenvolumen von knapp 1,4 Milliarden Mark. Sie kündigten an, das Geld über höhere Pflegesätze von den Krankenkassen und damit den Beitragszahlern einzutreiben. Sicher ein Grund für ihre Kompromißbereitschaft. Einen weiteren sehen Beobachter der seit Februar laufenden Tarifverhandlungen darin, daß Politiker aller Couleur sich zu einer „schnellen Hilfe für die Krankenpflege“ bekannten. Wegen der anerkannt katastrophalen Arbeitsbedingungen und schlechten Bezahlung kehrten tausende Beschäftigte nach nur wenigen Berufsjahren den Kliniken und Heimen den Rücken. Diesen Trend, der schon zur Schließung von Stationen wegen Personalmangels führte, hoffen die Arbeitgeber stoppen zu können. Schwer im Magen liegt ihnen, daß sie künftig die Gehälter der 35.000 Altenpfleger nicht mehr allein festlegen können, sondern mit den Gewerkschaften aushandeln müssen. Jenes Personal ist qua Tarifvertrag jetzt mit seinen Kollegen freigestellt.

Etwas zurückhaltender, aber positiv reagierten Schwestern auf das Ergebnis. Gegenüber den Nachrichtenagenturen meinten Befragte aus Stuttgart: „Dieser Abschluß geht ganz eindeutig in die richtige Richtung, er war bitter notwendig.“ Auch die Schichtzulagen gelten als „längst überfällig“. Während sich normalerweise bei Tarifabschlüssen in fast allen Branchen Verbände und Interessengruppen sofort zu Wort melden und das Ergebnis kritisieren, schwiegen die Organisationen des Gesundheitswesens am Wochenende.

Auch die Politiker verkniffen sich das sonst so beliebte Wort am Sonntag. Mit einer Ausnahme. Der oberste „Kostendämpfer“ im Gesundheitswesen, Bundesarbeitsminister Norbert Blüm, fand trotz seiner notorischen Sparsamkeit gegenüber Kranken, Alten und Pflegepersonal nur freundliche Worte. Mit Blick auf den Tarifabschluß säuselte Blüm: „Pflegekräfte in den krankenhäusern und Altenheimen leisten Dienst am Menschen. Deshalb sind dies Spitzenberufe, die hohe Anerkennung verdienen.“ Mit keiner Silbe ging Blüm auf die Forderungen von ÖTV und Deutscher Angestelltengewerkschaft ein, die Personalsituation in Krankenhäusern und Altenheimen generell zu verbessern. Die ÖTV machte deutlich, daß trotz der jetzt erzielten Tarifvereinbarung eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen erreicht werden müsse, und kündigte eine „Offensive zur Beseitigung des Pflegenotstandes“ an.

peb

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen