: Schwimmende Augenklinik
■ Lloyd-Werft baute für 27 Mio russisches Fährschiff in Luxus-Liner mit Operationssaal um
Ein Unikat ganz besonderer Art hat in der Rekordzeit von 75 Tagen mit rund 120.000 Arbeitsstunden die Lloyd Werft fertiggestellt: Als Kreuzliner und Augenklinik in einem wird künftig die „Mikhail Bulgakow“ vornehmlich Häfen des Nahen Ostens anschippern. Dort sitzen bereits rund 6.000 Patienten, die sich in dieser schwimmenden Zweigstelle des Moskauer Augenklinikums behandeln lassen wollen.
Mit vier Ärzteteams führt Professor Svyatoslaw Fyodorov Operationen an Kurzsichtigen durch: Mit eigens dafür entwickelten Diamantmessern setzt er unter Mikroskop winzige Schnitte in die Hornhaut, was schon nach 72 Stunden Brille -Tragen überflüssig macht. Die Erfolgsquote liegt bei weit über 90 Prozent. 120.000 Patienten hat der Professor in Moskau bereits operiert, nach einer Methode (radiale Keratotomie), die bei westlichen Ärzten durchweg ablehnend beurteilt wird.
„Die Kollegen haben sich die Methode und ihre Patienten nie angesehen,“ berichtete der Moskauer Augenchirurg am Sonntag vor der Presse im neugestylten Clubraum des Luxus-Liners: „Sie können stolz sein, die meisten konservativen Ärzte zu haben,“ stichelt er und verweist auf die Geschichte der Brille: Auch dieses Hilfsmittel wurde erst 300 Jahre nach seiner Erfindung im Jahr 1271 populär verordnet.
„In 30 Jahren ist die Brille passe“ prophezeit Fyodorov dann auch. Er operiert in seinem Klinikum 60.000 Kurzsichtige pro Jahr. Ab September hofft er, 50 bis 70 Patienten pro Tag in der Augenklinik an Bord der „Mikhail Bulgakow“ zu verarzten. Die Operation allein kostet rund 500 bis 1.000 Dollar. Und Fyodorov rechnet auf: In seiner Heimat kostet eine Brille rund 300 Dollar, 20 Brillen verbraucht ein Mensch in seinem Leben, Operation und Urlaubsreise kosten zusammen (bei einem 10tägigen Trip) runde 3.000 Dollar... Für ihn stelle sich da keine Frage mehr. Auch Kollegen hätten sich schon operieren lassen. Er selbst hat es (mit zwei verschieden geschwächten Augen) auch vor.
Dort, wo in der ehemaligen Passagier- und Autofähre einst die Autodecks waren, ist in den vergangenen 75 Tagen das Klinikum für Mikro-Chirurgie entstanden: Weiße Marmorfliesen, mattglänzende Nirosta-Stahl-Verkleidung an Wänden und Decke, fünf sternförmig um eine stählerne Mittelachse kreisende OP-Pritschen vermitteln ein Bild futuristischer Apparate-Medizin. Hier werden die Patienten wie am Fließband an vier in Arbeitsteilung operierenden Ärzten vorbeigedreht. Die fünfte Pritsche ist Vor- und Nachbereitung vorbehalten.
Außer den Pressevertretern zückte bei der Präsentation auch Wolfgang Lütjen seine Pocketkamera. „Das ist schon ein erhebendes Gefühl“, meinte er und knipste Professor und Werftdirektor auf dem sich drehenden Bettenka
russell. Lütjen hat die Einbauten von Siemens geleitet. Ob er sich hier behandeln ließe? - „Njein“, das sei ihm zu umheimlich, nur um die Brille zu sparen. 27 Millionen Mark haben die Umbauten gekostet. Neben dem Operationssaal entstanden Diagnostik- und Umkleideräume, Sterilisations-und Anästhesieraum, Labors, Apotheke, Krankenfahrstuhl und etliche Arbeitsräume für Geräte und Überwachungsapparaturen.
Gleichzeitig wurden die Gesellschaftsräume und Kabinen umgestaltet, Treppenhaus und Klimazentrale entstanden neu. Außerdem gehörte eine Erneuerung der Außenhaut und des Wulstbugs zum Auftrag an die Werft: Damit soll das Seeverhalten verbessert werden. Auch für das weitgehende Auffangen der Vibrationen haben die Bremerha
vener Schiffsbauer Lösungen gefunden. „Die Messungen sind aus unserer Sicht sehr gut,“ berichtet Lloyd-Manager Dieter Haake stolz. Und Professor Fyodorov ergänzt: „Dies ist der glücklichste Tag in meinem Leben.“
Weil Lloyd schon 88 andere sowjetische Schiffe überholte, ging der Auftrag mit Vertrauensvorschuß nach Bremerhaven. Der Professor, in dessen Moskauer Klinikum die Wartezeit schon anderthalb Jahre beträgt, denkt schon an ein zweites Schiff. Eine in West-Berlin geplante Klinik scheiterte „an der Ärzte-Mafia“, berichtete Fyodorov. Kapital will er aus den kombinierten Operations- und Urlaubsreisen in vermeintlich gesunder Seeluft nicht schlagen: Alle Erträge werden „neu-investiert.“
Birgitt Rambalski
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