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Greise halten eine Milliarde in Schach

Wenn er eine Zigarette ansteckt, zittern seine Finger. Seine Augen sind blau gerändert. Deng Xiaoping, Chinas starker Mann, ist alt und klapprig. Der Mann, der nach drei Säuberungen immer wieder als Stehaufmännchen in die Zentrale der chinesischen Politik zurückkehrte, wird im August 85 Jahre alt. Vorausgesetzt, er selbst überlebt das Massaker vom Wochenende, das in seinem Namen und auf Druck einer Handvoll Greise begangen wurde. Der einstige Hoffnungsträger der chinesischen Wirtschaftsreform, der Architekt der Politik der Öffnung zum Westen ist zum meistgehaßtesten Mann im Reich der Mitte geworden. In Peking wird er in diesen Tagen in einem Atemzug mit Stalin und Hitler genannt. Zum letzten Mal war Deng - „die kleine Flasche“, wie sein Name in gleicher Aussprache, aber mit anderen Schriftzeichen lautet - vor drei Wochen in der Öffentlichkeit zu sehen. Der knapp einsfünfundfünfzig kleine Mann dinierte mit dem sowjetischen Partei- und Regierungschef Gorbatschow. Doch während der Gast aus Moskau recht gut mit den fremdartigen Eßstäbchen umging, führte Deng einen Brocken zum Mund, ließ ihn aber prompt vor den Fernsehkameras auf den Teller plumpsen.

Fester als die Stäbchen hält Deng da schon die Macht in China zusammen. Sein Wort ist immer noch Gesetz. Das offenbarte noch der jetzt gestürzte Parteichef Zhao Ziyang (70) während des Besuches von Gorbatschow. Einer der Gründe, warum ihm wegen „Verrats von Staatsgeheimnissen“ der Schauprozeß gemacht werden wird. Das einzige politische Amt, das der Zwerg, so die Hongkonger Zeitungen, noch besetzt, ist der Vorsitz der Militärkommission des Zentralkomitees. Es galt immer als Schlüsselfunktion im chinesischen Machtapparat.

Als in den letzten Jahren Deng als Mentor der Wirtschaftsreform sich anschickte, alle konservativen Reformgegener in neugeschaffenen Beraterkomitees und auf einige Disziplinarkommissionen abzudrängen, war stets eines unklar: Würden es die reformorientierten Kronprinzen Hu Yaobang und Zhao Ziyang schaffen, das konservative Militär in Schach zu halten, und können sie verhindern, daß die über 80jährigen Veteranen des langen Marsches nicht mehr den Fortgang der Politik beeinflußen?

Beides ist mißlungen. Ex-KP-Generalsekretär Hu Yaobang wurde bereits 1987 entmachtet, als er sich weigerte, dem Protest der Studenten ein militärisches Ende zu setzen. Gleiches passierte auf dem Höhepunkt der diesjährigen Studentenproteste. Der ebenfalls reformfreudige Zhao Ziyang (70), der als letzter Verfechter einer Reformpolitik in den Zentren der chinesischen Macht Hu ins Amt gefolgt war, wurde ebenfalls entmachtet, weil er auf die Forderungen des diesjährigen Pekinger Frühlings eingehen wollte. Beidesmal fielen die Entscheidungen zum Sturz dieser Kronprinzen Dengs auf einer Sitzung des sogenannten „erweiterten Politbüros“. Ein Gremium dieser Art existiert in der Volksrepublik offiziell nicht. Es bedeutet lediglich, daß etwa sieben alte Männer, zum Teil in Rollstühlen sitzend, zusammengebracht werden und dann mit Hilfe erzkonservativer Militärs über die Geschicke von 1,1 Milliarden Menschen entscheiden, zur Hatz auf Intellektuelle blasen oder landesweite Kampagnen inszenieren.

Das zeigt sehr deutlich, wer in den letzten Jahren noch immer die Herren im Laden der KP waren. Nicht etwa die jungen Politiker wie Premier Li Peng auf seiten der Hardliner-Fraktion oder das Politbüro-Mitglied Hu Qili (60) bei den Gemäßigten. Die Fäden der Macht hielten neben Deng stets Männer wie der stalinistische Planer Chen Yun, der einstige Vorsitzende des Volkskongresses, Peng Zhen, Ex -Propagandachef Bo Yibo oder der frühere Staatschef Li Xiannian in den Händen. Sie sahen in der Wirtschaftsreform schon einen Ausverkauf Chinas an den Kapitalismus, versuchten mit auf sozialistische Moral bedachten Kampagnen stets den Reformern Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Sie kontrollieren die politischen Prozesse, sichern ihren Clans und Gefolgsleuten die Pfründe und Claims und verlangen dafür Gehorsam in ihren Seilschaften.

Die Ideologie dafür stammt aus dem China der 40er und 50er Jahre - es ist nackter Stalinismus. Während Deng als größter gemeinsamer Nenner die Alten und die Armee in Schach hielt, durften die Reformer gerade in den letzten Jahren in einem Maße experimentieren, wie man es vor Jahren in China nie für möglich gehalten hätte. Auch die politische Reform schien im Land der Mitte plötzlich kein Tabu mehr zu sein. Doch schon lange machte die bange Frage die Runde, was passieren würde, wenn Deng vor dieser Stahlhelmfraktion stirbt. So weit mußte es jetzt gar nicht kommen. Mit den Studentendemonstrationen schien für die alten Mächtigen und die Armee endgültig die Grenze überschritten, die sie als Abkehr von den sozialistischen Werten in ihren verstaubten Köpfen akzeptieren konnten.

Ihr Gefolgsmann im Militär ist der Staatschef Yang Shangkun (82). Die 27.Armee, die das Massaker initiierte, wird von seinem Bruder Yang Baibing geleitet. Daß Deng deren Drängen nachgab, zeigt, daß er eigentlich nie ein Reformer gewesen ist. Im Kern ist er ein Machtpolitiker, der stets Massenströmungen im Volk benutzte, um an der Führung zu bleiben. „Was sind eine Million Tote“, soll er am Wochenende gesagt haben, „China hat viele Menschen.“

Jürgen Kremb

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