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Deutsche oder Nazis

■ Ein deutsch-britisches Historikertreffen in Hamburg zum Thema „Deutscher Widerstand und britische Regierung 1933-1945“

Die Haltung war konsequent pragmatisch. Können sie helfen bei der Niederwerfung von Hitler-Deutschland oder nicht? Die Antwort war nein. Damit war entschieden, daß die britische Regierung während des Krieges auf die Dienste der Führungsgruppe der Exil-SPD verzichtete. Dem Thema gilt eine detaillierte britische Studie, die jetzt auf einem deutsch -britischen Historikertreffen in Hamburg über den „Deutschen Widerstand 1933-1945“ vorgelegt wurde.

Nach dem deutschen Sieg über die französischen und britischen Armeen 1940 in Frankreich hatte London eine Nutzung der deutschen Exil-Sozialdemokraten durchaus erwägenswert gefunden. Auf Ersuchen des für Subversion und Widerstand zuständigen Ministers in der großen Kriegskoalition Hugh Dalton (Labour) wurden der Vorsitzende der Exil-SPD Hans Vogel und seine Mitarbeiter Erich Ollenhauer und Fritz Heine im Dezember 1940 bzw. Januar 1941 von Lissabon nach England geflogen. London dachte, daß sie zusammen mit ihren bereits in Großbritannien befindlichen Parteifreunden einen wichtigen Beitrag im Krieg gegen Deutschland leisten könnten.

Dazu kam es nicht. Außenminister Anthony Eden (Konservativ) befand im Juli 1941, daß das deutsche „Volk weit davon entfernt ist, nach Führung und Ermutigung im Ausland Ausschau zu halten, und in seiner gegenwärtigen Stimmung die Führer einer solchen Bewegung wahrscheinlich als Verräter in feindlichem Sold betrachten würde“. Eden sprach von einer „Anzahl Deutscher mit nur geringer oder keiner Anhängerschaft in Deutschland“.

Die endgültige Entscheidung der britischen Regierung, den deutschen Sozialdemokraten in Großbritannien eine Anerkennung als Widerstandsgruppe zu versagen, wurde diesen im Oktober 1942 vom damaligen Sekretär des Internationalen Komitees der Labour Party William Gillies übermittelt. Gillies erklärte später, die Gruppe habe die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllt.

Der britische Historiker Dr. Anthony Glees (Brunel University) zieht dieses negative Urteil in seiner Studie „Britische Politik gegenüber den deutschen Sozialdemokraten im Exil“ in Zweifel und bemerkt, die Nichtanerkennung habe darauf beruht, daß man die Gruppe nicht für „strategisch nützlich“ gehalten habe. „Politische Sympathien zählten fast gar nicht“, erklärt er. „Die britischen Politiker wurden nicht geleitet dadurch, was nicht-britische Gruppierungen über sich selbst sagten, weniger noch von irgendwelchen moralischen Prinzipien und öffentlicher Meinung, vielmehr von einer kaltschnäuzigen Definition dessen, was britische Interessen sind.“

Glees hält zwar die damalige Haltung Winston Churchills und seiner Regierung für richtig, daß das „Dritte Reich“ nur mit Waffengewalt zu besiegen sei, meint aber, es gehe nicht um die Frage, ob der deutsche Widerstand ein wichtiger Beitrag hätte sein können, sondern eher darum, warum man ihm nicht erlaubte, den geringen Beitrag, dessen er ziemlich sicher fähig gewesen wäre, zu leisten.

Ein anderer Teilnehmer der Hamburger Tagung, Dr. Gerhard Hirschfeld, Mitarbeiter im Deutschen Historischen Institut London, nannte als Grund für die mangelnde Bereitschaft der britischen Regierung, sich mit den Organisationen des deutschen Exils auf eine für beide Seiten tragfähige Kooperation einzulassen, Rücksichtnahme auf die Kriegskoalition der Alliierten und eine zunehmend deutschfeindliche britische Öffentlichkeit. „Eine möglichst dauerhafte Entmachtung Deutschlands, und zwar militärisch wie wirtschaftlich, politisch wie psychologisch, hatte entschiedenen Vorrang vor der Durchsetzung einer bestimmten politischen und sozialen Ordnung, wie sie den Vertretern der sozialdemokratischen und sozialistischen Exilgruppen vorschwebte“, erklärte Hirschfeld.

Beide Referenten verwiesen darauf, daß deutschen Emigranten als Einzelakteuren durchaus Betätigungsmöglichkeiten eingeräumt wurden, wie etwa in der Rundfunkpropaganda. So lieferten auch Hans Vogel, der 1945 starb, und Erich Ollenhauer, von 1952 bis zu seinem Tode 1963 SPD -Vorsitzender als Nachfolger von Kurt Schumacher, Material für Sendungen an die Arbeiter in Deutschland. Doch vermied die British Broadcasting Corporation (BBC) Propaganda zugunsten des antinazistischen Widerstands.

Ein früherer BBC-Verantwortlicher begründete das Glees zufolge kürzlich so: Zwar habe man im „Französischen Dienst“ der BBC die Franzosen als Verbündete zum Widerstand gegen die deutsche Besatzung aufgefordert. Aber den Deutschen gegenüber habe man den Standpunkt eingenommen, daß sie alle schuldig und bis auf einige sehr wenige Widerständler für die Nazis seien, und daß die Briten sie deswegen als Feinde zu behandeln hätten.

Michael G. Balfour, Verfasser einer international anerkannten Biographie über Kaiser Wilhelm II., stellte in einem Beitrag über die britische Rundfunkpropaganda fest, es sei dieser nicht gelungen, den Krieg zu verkürzen. Sie habe dem deutschen Widerstand helfen sollen, indem man die Deutschen davon zu überzeugen suchte, daß Hitlers Weg der falsche sei. Dabei seien für die Mitglieder des Widerstands nicht alle britischen Standpunkte akzeptabel gewesen. Ohne den Punkt zu vertiefen, verwies Balfour auf Zweifel daran, ob die britische Politik während des Krieges im Blick auf die Zeit nach Hitler klug gewesen sei.

In einem Referat zum Bombenkrieg gegen Deutschland erklärte der ehemalige britische Air-Force-Oberst H.A. Probert, man habe nach einiger Zeit eingesehen, daß es mit diesem Mittel nicht möglich sei, die Moral der Deutschen zu brechen, in Deutschland also eine Opposition gegen das Regime zu schaffen. In diesem Zusammenhang verwies der deutsche Tagungsteilnehmer Dr. Werner Johe (Hamburg) am Beispiel Hamburg darauf, die Bombenangriffe hätten eher zu einer Solidarisierung mit dem nationalsozialistischen Staat geführt, weil dessen Amtsträger alles zu tun versucht hätten, um das Los der Opfer zu erleichtern. Anders war es, wie Probert erwähnte, in Italien, wo die Bombardierung der Großstädte im Norden einen wichtigen Beitrag zum Sturz des Faschismus im Jahre 1943 geleistet habe.

Nach britischer Einschätzung waren in Deutschland Gestapo -Kontrolle und Gehorsamsmentalität wesentliche Faktoren, daß die Bombardierungen von der Bevölkerung weitgehend resigniert hingenommen worden seien. Ein von Probert zitierter Brite überlegte, was in einer freieren, weniger disziplinierten Gesellschaft geschehen wäre, und meinte: „Ein demokratisches Deutschland hätte wahrscheinlich schon im März 1944 das Handtuch geworfen.“

Rudolf Grimm (dpa)

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