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EIN LAND ALS MILITÄTRGEFÄNGNIS

■ „Geständnisse in Mamak“ - ein Videofilm über die Türkei im KOB

Parolen an den Wänden, Massendemonstrationen, Heckenschützen, Opfer des Straßenkampfes - der Videofilm „Geständnisse in Mamak“ des Videoladens Zürich beginnt mit einem Rückblick auf die Türkei Anfang des Jahres 1980 und beschreibt eine Situation, die die AutorInnen Erich Schmied, Helena Vagnieres und Rene Zumbühl als vorrevolutionär beschreiben. Man kann sich darüber streiten, ob dies eine angemessene Chrakterisierung der damaligen Situation ist, für den weiteren Inhalt des Films spielt es keine wesentliche Rolle. Analysiert wird nicht, warum das Militär im September 1980 putschte, sondern wie mit der gesellschaftlichen Opposition in den folgenden neun Jahren umgegannen wurde.

Jeder weiß, daß in der Türkei gefoltert wird, daß die Massenprozesse gegen die Linke bar jeden rechtsstaatlichen Verfahrens sind und man einen Knastaufenthalt in der Türkei seinem schlimmsten Feind nicht wünschen möchte. Doch abstraktes Wissen und unmittelbare Wahrnehmung sind zwei verschiedene paar Schuhe. Wenn der Vorsitzende des türkischen Menschenrechtsvereins, Emil Galip Sandalci, im Film betont lakonisch darüber berichtet, wie er gefoltert wurde - „das ist ganz normal, überhaupt nichts Besonderes“ versteht man noch einmal auf ganz andere Weise, was es bedeutet, wenn amnesty international nüchtern berichtet, in der Türkei würde nach wie vor systematisch gefoltert. Dasselbe gilt für die Bilder aus den Prozessen. Erich Schmied hat im August 1988 eine internationale Delegation bei ihrem Besuch in der Türkei begleitet. Beobachtet haben sie unter anderem den Prozeß auf dem Armeestützpunkt Mamak unweit von Ankara. Daß ein Verfahren mit über 700 Angeklagten einen fairen Prozeß schon durch die Masse ausschließt, kann sich jeder vorstellen - in welcher Atmosphäre in den hermetisch abgeriegelten Militärgefängnissen jedoch tatsächlich verhandelt wird, davon gibt der Film einen drastischen Eindruck. Angeklagte, die so schwer mißhandelt wurden, daß sie sich bei ihren Aussagen nur mühsam auf den Beinen halten können; Richter, die mit einer fast Freislerischen Arroganz Einwände der Verteidigung wegfegen - bedrückende Bilder aus einem Land, mit dem die Bundesrepublik eng verbunden ist. Den Hauptteil widmet der Film dem zentralen Prozeß gegen die linke Organisation Devrimci Yol (Revolutionärer Weg), gegen die seit Jahren im Militärgefängnis Mamak verhandelt wird. Ausführlich berichtet die Frau eines der Hauptangeklagten, die selbst mehrere Monate in Mamak inhaftiert war, über die Unmöglichkeit der Verteidigung und das Leben der Gefangenen im Knast. Dabei geht es auch um die Folterzentrale DAL in Ankara, einen Ort des Schreckens, über den der Film ausführlich Auskunft gibt.

Was dieser Film zeigt, ist nicht die Realität der Türkei, aber der Ausschnitt, den er behandelt, ist präzise dargestellt. Es ist ein Film gegen das Vergessen, ein Film, der mit der weitverbreiteten Annahme aufräumt, dem Putsch von 1980 seien durch die Wahlen in den Jahren 1983 und 1987 wieder zivile Zustände gefolgt. Doch im Urlaubsland Türkei, hinter der Fassade Özalscher Umtriebigkeit, regiert auch weiterhin das Militär.

JG

„Geständnisse in Mamak“ ist heute um 21 und 23 Uhr im Kino im KOB zu sehen. Der Autofocus-Videoverleih sucht im übrigen Interessenten, die das Video zeigen möchten.

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